Bienen als Pflanzenschützer
von Tim Caspar Boehme
Die Erfahrung hat wohl schon fast jeder einmal gemacht: Ein summendes Insekt ist im Anflug, man schreckt für einen Moment zusammen, erst dann schaut man genauer hin, ob es sich um eine sympathischen Biene oder ein Exemplar der weniger beliebten Wespen handelt. Manche Menschen haben sogar Schwierigkeiten, zwischen beiden Insekten zu unterscheiden und fühlen sich von ihnen daher oft gleichermaßen bedroht.
In gewisser Hinsicht haben diese Menschen, ohne es zu wissen, durchaus einiges mit Schmetterlingsraupen gemein. Denn die Raupen sind ebenfalls nicht in der Lage, zwischen Bienen und Wespen zu unterscheiden. Während die Insektenstiche jedoch nur für wenige Personen eine wirkliche Gefahr bedeuten, ist die Bedrohung bei den Raupen ungleich realer. Wespen sind Insektenfresser und somit die natürlichen Feinde der Raupen.

Die Raupe ist jedoch mit einem raffinierten Schutz an ihren Feind angepasst. So hat sie auf ihrem Körper Sinneshärchen, mit denen sie die Frequenz des Flügelschlags der herannahenden Wespen registriert. Bemerkt die Raupe die Gefahr, hält sie augenblicklich still oder lässt sich fallen. Die Wespe kann ihre Beute nun nicht mehr orten und geht leer aus.
Wie die Würzburger Bienenforscher Jürgen Tautz und Michael Rostás vor kurzem herausgefunden haben, verfallen die Raupen auch in Gegenwart von Honigbienen in die gleiche Schockstarre. Bienen brummen nämlich mit derselben Flügelschlagfrequenz wie Wespen. Zwar wäre im Falle der Bienen die Vorsicht der Raupen völlig unnötig, da Bienen sich bekanntlich nicht von Raupen ernähren, doch das Risiko eine Wespe mit einer Biene zu verwechseln, wäre für die Raupe zu groß, es würde tödlich enden. Besser zehnmal auf falschen Fliegeralarm reagieren, als einmal ausgestochen zu werden.
Diese Wirkung der Bienen auf die Raupen haben sich Tautz und Rostás in ihren Experimenten zu Nutze gemacht. Sie errichteten zwei identische Versuchskäfige mit Paprika- und Sojapflanzen, auf deren Blättern sie Schmetterlingsraupen aussetzten. In einem der beiden Käfige siedelten sie zusätzlich Bienen an. Diese mussten, um an ihr Futter zu gelangen, stets über die Pflanzen fliegen, auf deren Blättern sich die Raupen zur Nahrungsaufnahme niedergelassen hatten. Auf diesen Dauerterror reagierten die Raupen erwartungsgemäß mit Stillhalten. Der Stress war für die Raupen derart groß, dass sie kaum noch zum Fressen und Eierlegen kamen. Die Fraßschäden waren im Bienenkäfig um 60% geringer als in der Vergleichsvariante ohne Bienen.
Honigbienen erfüllen, wie Tautz und Rostàs unterstreichen, gleich mehrere wertvolle Funktionen in der Kulturlandschaft. Als Blütenbestäuber haben sie sowohl für die Biodiversität als auch für landwirtschaftliche Nutzpflanzen unschätzbaren Wert. Honig, Wachs, Propolis und Gélée Royal sind wertvolle Genuss- und Heilmittel. Und als Raupenschreck können sie einen wichtigen Dienst für den Pflanzenschutz und die Regulierung des ökologischen Gleichgewichts leisten.
Die Kombination all dieser Eigenschaften könnte die Bienen schon bald wieder zu einer der wichtigsten Ergänzungskulturen in der Landwirtschaft machen. Beim Anbau von Kohl und Paprika, von Sojabohnen, Kartoffeln und vielen anderen Gemüsearten kommt es aufgrund von Raupenfraß jedes Jahr zu hohen wirtschaftlichen Verlusten, vor allem aber zur Spritzung enormer Mengen an Insektiziden. Würde man nicht nur biologisch arbeiten, sondern alle 12 bis 15 Meter einen Streifen mit Nektarblumen und Büschen einsäen bzw. pflanzen, könnte man auch im Gemüseanbau überall Bienenstöcke aufstellen, Honig ernten, Arten schützen, Raupenfraß begrenzen. Wirtschaftlichkeit und Naturschutz wären in gleichem Maße Gewinner solch flexibler agronomischer Strategien.

Aus den Weinbergen sind Bienenstöcke seit fast einem halben Jahrhundert verschwunden. Denn zum einen überlebt kein Bienenvolk die üblichen Pflanzenschutzspritzungen, und zum anderen fürchten die Winzer, dass die Bienen im Herbst die Traubenhaut aufkratzen, den Zucker aussaugen und für Essigstich sorgen.
Wie in den Weinbergen von Mythopia jedoch gezeigt werden konnte, eignen sich Bienen sehr wohl als höchst funktionale Ergänzung im Weinbau. Durch den Verzicht sowohl auf chemische Pestizide als auch Schwefel konnte der Weinberg wieder zum Lebensraum für Bienen werden. Dank der Einsaat vielfältiger Nektarblüten und Büsche, von denen zwischen März und November stets genügend in Blüte stehen, um Nahrung zu bieten, finden die Bienen kein Interesse an den Trauben, die ja ohnehin nicht ihre angestammte Nahrung sind. Durch konsequente Ausrichtung auf höchste Traubenqualität durch gesunde Böden, natürliche Pflanzenstärkung und ausgewogene Erträge wird zudem die Traubenhaut gefestigt, so dass die Beine der Bienen sie kaum mehr aufkratzen können.
Auch im Weinberg sind Bienen höchst aussagekräftige Indikatoren für die Gesundheit des Ökosystems. Wenn Bienen im Weinberg wieder Lebensraum finden, lassen sich aussagekräftige Rückschlüsse auf Pflanzen- und Insektenvielfalt sowie auf nachhaltigen Pflanzenschutz ziehen. Sogar die Biokontrolle könnte man sich durch Bienen im Weinberg enorm erleichtern, die Gesundheit der Bienen spricht von der Gesundheit ihres Lebensraumes, und in Honig und Waben würden sich fast alle Pestizide wieder finden. Bedauerlicherweise sind Bienenstöcke jedoch auch im Bioweinbau noch immer fast ebenso unbekannt wie im konventionellen Weinbau.

Um neben den ohnehin bekannten positiven Auswirkungen der Bienen im Weinbau auch deren Wirkung als Pflanzenschützer nachzuweisen und damit das vielleicht entscheidende Argument für die weitflächige Einführung von Bienen im Weinbau zu liefern, werden ab Frühjahr 2009 in Gemeinschaft mit Michael Rostás und Jürgen Tautz mehrere Experimente in den Weinbergen von Mythopia durchgeführt.
In sechs 3m x 15m großen Zelten inmitten von Nektarblüten und Reben werden Larven von Traubenwicklern ausgesetzt. Während in drei der Zelte jeweils ein Bienenstock steht, entwickeln sich die Traubenwicklerlarven in den anderen drei Zelten ohne Bienenstörung. Nach zwei Monaten werden die jeweiligen Populationsstärken sowie die Blattschäden gemessen und somit die Wirkung der Bienen ermittelt.
In einem zweiten Experiment werden in mehreren Weinbergsparzellen Bienenstöcke in verschiedenen Anordnungen und Entfernungen aufgestellt, um zu untersuchen, wie groß der Traubenwicklerbefall in Abhängigkeit von der Entfernung der Bienenstöcke ist. Sollten sich die Experimente als erfolgreich erweisen, ließe sich im nächsten Schritt zeigen, wie man durch geeignete Blütenpflanzen zusätzlich zu den Honigbienen möglichst große Populationen von Wildbienen, Hummeln und Wespen sowie unzählige anderen Insekten anziehen kann, um durch die enorme Vielfalt verschiedener Arten das massenhafte auftreten schädlicher Arten zu verhindern. Krankheiten sind in der Natur immer nur ein Zeichen dafür, dass das System aus dem Gleichgewicht geraten ist. Das Vernichten vermeintlicher Krankheitserreger oder Schädlinge verlagert höchstens das Problem, gelöst aber wird es nicht.
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