Winzerseminar auf Château Duvivier
von Hans-Peter Schmidt
Wenn zehn, zwölf Spitzenwinzer aus ganz Europa zusammen kommen und natürlich zusammen trinken, aber irgendwann vergessen, dass eigentlich nur der eigene Wein der beste sein kann, und an einem bestimmten Moment am Abend oder sogar Morgen die Leichtigkeit des Seins entwickeln, über anderes als nur über Wein und die anderen Themen der Trunkenheit zu reden, dann wird es spannend. Winzer, zumindest die besseren, sind ausgesprochene Individualisten und meist Selfmademen mit ziemlich eigenwilligen Biographien. Aber genau solche Charaktere braucht es, um in einem so vielfältigen und anspruchsvollen Beruf wie dem des Winzers erfolgreich zu sein: von Bodenbiologie, Pflanzenkultur, Werkzeugbau und Ökologie muss er ebensoviel verstehen wie von Biochemie und Alchemie der Vinifizierung, von Marketing und von Poesie, und dann braucht es auch noch die Kondition eines Alpinisten, wenn er mit Pflanzenschutzrucksack die steilen Hänge zwischen seinen Reben hinaufsteigt oder über die Trockensteinmauern balanciert.
Als sich Mitte März zwölf der wichtigsten Delinat Winzer für drei Tage auf Château Duvivier versammelten, um nichts weniger als die Revolution des Bioweinbaus zu diskutieren, zu planen, zu proben, wurde schnell klar, welch einmalige Situation sich da ergab. Während unter Politikern und Akademikern drei Tage lang über Vorgehen, Methode und Rechtfertigung des Ganzen diskutiert und vor lauter Konsenssuche die Inhalte zerredet worden wären, erkannten die Winzer-Individualisten sofort die überwältigende Perspektive, die sich aus dem neuen ökologischen Ansatz ergab. Mit der ihnen ganz eigenen Pragmatik und Begeisterung für die Sache erarbeiteten sie über alle sprachlichen und kulturellen Grenzen hinweg gemeinsame Lösungsansätze und stellten dank ihrer Fähigkeit zu unkonventionellen Entscheidungen überraschende Pläne zur Umsetzung des noch vor kurzem fast unmöglich Scheinenden auf.
Dank der auf Mythopia und Château Duvivier bereits geleisteten Forschungsarbeit konnte konkret nachgewiesen werden, wie die ökologische Neugestaltung der Weinberge nicht nur die Artenvielfalt und das Klima zu schützen vermag, sondern zugleich zur Verbesserung der Weinqualität und auch der wirtschaftlichen Grundlage der Weingüter beitragen kann.
In den Vorträgen am Vormittag wurden die funktionalen Zusammenhänge des höchst komplexen Netzes von Bodenmikroben und Pflanzen, Duftstoffen und Insekten, Sonnenlicht und Karbonzyklus, Humus und Mineralien, Hefen und Traubenaromen, Bienen und Traubenwicklern skizziert, um in den Workshops am Nachmittag sodann konkrete Maßnahmen für den Weinbau abzuleiten. Denn dank des besseren Verständnisses für die natürlichen Zusammenhänge in ausbalancierten Ökosystemen wird es möglich, viel geschickter und effektiver als bisher die Natur für uns arbeiten zu lassen. Anstatt gegen die Natur zu kämpfen, müssen wir lernen, Pilz- und Viruskrankheiten, Schädlingsbefall und Nährstoffmängel zunächst als Symptome für die ökologische Unausgeglichenheit des natürlichen Systems zu begreifen, um darauf aufbauend fundamental neue, nachhaltige Lösungsansätze zu finden. Es ist ein langer, schwieriger Weg, doch zeigen die Forschungen der letzten Jahre, dass es durchaus möglich ist, Weinberge ökologisch so auszubalancieren, dass
- alle zum Pflanzenschutz und zur Pflanzennahrung nötigen Mittel vom Weinberg selbst stammen
- Weinberge zu Artenschutzgebieten werden
- Weinberge klimapositiv wirtschaften und somit zur Verringerung klimaschädigender Gase in der Atmosphäre beitragen.
Um den Elan, den das Seminar bei allen beteiligten Winzern aus Spanien, Italien, Frankreich, Deutschland und der Schweiz auslöste, unmittelbar für die Umsetzung konkreter Maßnahmen auf den verschiedenen Weingütern Europas zu nutzen, wurde am Ende des Seminars eine Reihe von Projekten vereinbart, die in den nächsten Wochen weiter ausgearbeitet und auf Ithaka vorgestellt werden. Ein zentraler erster Schritt besteht dabei in der strukturellen Verbesserung der Biodiversität. Nachdem in den 60er und 70er Jahren aufgrund der Mechanisierung sämtliche Bäume aus den Weinbergen verschwunden sind, beteiligen sich alle Winzer an einem Programm zur Wiederanpflanzung von traditionellen Weinbergspfirsichen, Mandel-, Pistazien-, Oliven-, Quitten- und anderen Obstbäumen innerhalb der Weinberge, wobei es zunächst gilt, wieder die geeigneten Wurzelunterlagen zu finden, die sich mit der Mikrofauna im Umkreis der Rebwurzeln vertragen. Zudem werden wieder autochthone Buschhecken und unterteilende Zwischenzeilen mit Nektarblumen angelegt, so dass in den Rebbergen künftig auch wieder Honig produziert wird.
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