Aronia – oder der Glaube an Wunder
von Hans-Peter Schmidt
Der Nektar von Aroniabeeren gehört ebenso wie Biokohle, Kernfusion, Elektroautos und nikotinfreie Zigaretten zu den Wundermitteln, die uns, wenn wir zu stark daran glauben, von den eigentlichen Problemen des Planeten und der Gesundheit ablenken. Doch sollte uns dies nicht daran hindern, die Chancen zu nutzen, die aus dem Einsatz von Biokohle, Elektroautos oder eben Aronia Melanocarpa für die Natur und die Gesundheit erwachsen.
Wunder gehören in der Geschichte der Menschheit zu den liebsten Phantasien, und zum Glück ereignen sie sich gerade oft genug, dass man den Glauben daran nie endgültig verliert. Egal, ob es die Zukunft der Menschheit, des Planeten oder des eigenen Schicksals betrifft, der Glaube an Wunder erhält die Hoffnung auf einen rettenden Ausweg in letzter Minute.
Wenn die Verzweiflung am größten, wächst der Glaube an Wunder am meisten. Und da das Industriezeitalter uns an so vielen Fronten in die Verzweiflung treibt, wächst auch der Glaube an Wunder ins Unermessliche. Die globale Wirtschaft hat dies längst als einen der wirkungsmächtigsten Marketingtricks erkannt und produziert vom Lottoschein und Heildiäten über den Ablasshandel und CO2-Zertifikate bis zu Naturschutzgebieten und Samenbanken ein ganzes Arsenal von Geschäftsideen rund um die so liebenswerte menschliche Schwäche, an Wunder zu glauben.
Ebenso groß wie der Glaube an Wunder ist allerdings der Glaube, dass am Ende doch noch alles gut gehen wird. Was den Klimawandel betrifft, so zeigt jeder herrliche Sonnentag im Frühjahr, sei es in einem alpenländischen Weinberg oder in einem Orangenhain an der Côte d'Azur, dass doch eigentlich noch immer alles dem Glück gewogen ist. Ein Frosch, den man in einen Topf mit kaltem Wasser steckt und auf kleiner Flamme erwärmt, lässt sich ohne merkliche Reaktion zu Tode kochen. Ein Frosch, den man in heißes Wasser wirft, springt sofort heraus und rettet sich. Ist es eigentlich Glück, wenn man vor lauter Glück das Unglück nicht merkt? Oder ist es Glück, wenn das Unglück vor dem Glück rettet?
Aronia Melanocarpa
Aronia Melanocarpa gehören ebenso wie Biokohle, Kernfusion, Elektroautos und nikotinfreie Zigaretten zu den Wundermitteln, die uns wie ein Frosch im langsam wärmer werdenden Wasser mit prächtiger Behaglichkeit in den Untergang geleiten. Doch so wie Biokohle und Elektroautos besitzen auch Aronia Melanocarpa zahlreiche äußerst positive Eigenschaften, die jenseits allen Wunderglaubens den Weg der bewussten Umkehr zu einer natürlicheren Lebensart begleiten können.
Die Apfelbeere, wie die Aronia im Deutschen auch genannt wird, ist eine außerordentlich widerstandsfähige Buschpflanze, die ursprünglich aus Nordamerika stammt. Bei den Indianern genossen die kleinen schwarzen, heidelbeerähnlichen Früchte einen hohen Stellenwert im täglichen Nahrungsplan. Die Beeren sind nicht nur äußerst vitaminreich, sondern lagern ähnlich den Weintrauben viele antioxydative Polyphenole in ihrer Schale an. Diese Polyphenole, durch die sich die Beeren effektiv gegen Schädlinge schützen, besitzen höchst wertvolle Eigenschaften für den menschlichen Organismus.
Gedörrt, als Saft oder als Wein genossen, wirkt die Aronia blutdrucksenkend und als Diuretikum. Die Gerbstoffe der Aronia helfen bei Magen-, Darm-, Leber- und Gallenbeschwerden. Die Aronia wirkt regulierend und harmonisierend auf das Immunsystem, weshalb sie bei den Folgen von Chemotherapien eingesetzt wird. Mehrere wissenschaftliche Studien lassen zudem vermuten, dass insbesondere die sekundären Pflanzenstoffe der Aronia eine vorbeugende Wirkung gegen Darmkrebs und positive Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel und den Fettgehalt im Blut haben.
In der Sowjetunion, wo die Aronia aufgrund ihrer hohen Frosthärte seit den 1930ern großflächig angebaut wurde, entwickelte sie sich rasch zum Grundstoff zahlreicher Medikamente. Von der Sowjetunion breitete sich die Aronia seit den 1960er in den damaligen Ostblockstaaten und auch in Skandinavien aus. In Westeuropa galt die Aronia noch bis vor kurzem als reiner Zierstrauch. Aufgrund des hohen medizinischen Interesses wurde die Aronia seit 2003 vermehrt auch als Wirtschaftsobst in Österreich und Westdeutschland angebaut.
In der Schweiz und in Frankreich wurden 2008 auf Initiative von Delinat zwei Hektar mit Aroniabüschen bepflanzt, so dass im August nächsten Jahres die ersten Weine aus den Beeren gekeltert werden können. Denn wie im Falle des Traubenweines gilt auch für die Aronia, dass die meisten Polyphenole nur in alkoholischen Lösungen aus der Beerenhaut herausgelöst werden und auch der Körper sie am besten aus alkoholischen Lösungen aufnehmen kann. Gesundheitliche Beeinträchtigungen aufgrund des Alkohols sind allerdings kaum zu befürchten, denn bereits ein Esslöffel Aroniawein pro Tag genügen, um den Körper mit den äußerst wichtigen antioxydativen Anthozyanen zu versorgen.
Interessante Sekundärkultur für den Weinbau
Der Grund für Delinat, sich für die Kultivierung der Aronia zu engagieren, besteht allerdings nicht nur in der engen Verwandtschaft zu Wein, sondern vor allem auch darin, dass sich die Aronia ganz ausgezeichnet als Sekundärkultur im Weinbau eignet. Sowohl an den Rändern der Rebparzellen als auch in Form von Zwischenreihen großer Parzellen dienen die Aroniabüsche zur Aufwertung der Biodiversität bei gleichzeitigem ökonomischem Nutzen. Die Blüten der Aronia ziehen Schmetterlinge und Insekten an, das dichte Laubwerk bildet wertvolle Vogelnistplätze, die Beeren sind Nahrung für mehrere Vogelarten und die Wurzeln sind durch ihre Symbiosen mit Stickstoff speichernden Bakterien wertvoll für das Bodenleben. Eine vielgestaltige Win-Win-Situation für die nachhaltige Gestaltung des Ökosystems.
PS.: Im schweizerischen Kreuzlingen hat sich im letzten Jahr eine Interessengemeinschaft Aronia gegründet und seither 3 ha Aroniabüsche gepflanzt. Unter der Webseite: www.aroniabeere.ch finden Sie ausführliche Informationen über dieses ebenfalls ökologisch orientierte Projekt.
Literaturhinweise:
Aronia: Unentdeckte Heilpflanze von Sigrid Grün und Jan Neidhardt, edition buntehunde, 2007
Aronia - Königin der Blaublüter von Renate Petra Mehrberg, Buchverlag für die Frau, 2009
Aronia - Powerbiostoffe aus der Apfelbeere von Petra Neumayer, Koha-Verlag, 2009
Keith Dixon
19.04.2009 18:02
Was bedeutet es, wenn man schreibet Aronia "hilft" bei Magen- Darm-, und Gallenbeschwerden. Was sind die aktive Prinzipien und sind sie antioxidante oder "free radical scavengers". Haben sie ein paar Zitate aus relevanter Literatur. Vor allem wie gut belegt ist die Blutdruck senkende Wirkung?
Ich finde Delinat erklärt ihre ecofreundliche Strategie sehr gut, und ich bin sehr interessiert in wie weit das Beispiel Delinats von anderen Weingütern übernommen wird. Als Biologe bin ich auch absolut dafür, dass man dieser Art von Weinbau betreibt. Viel Glück.
hps
21.05.2009 08:13
Anbei einige Studien zu den gesundheitlichen Wirkungen der Aronia. Wir planen in nächster Zeit einen gesonderten Artikel zur Auswertung der verschiedenen Studien:
Es sind verschiedene gesundheitsfördernde Wirkungen von Aronia bzw. Anthocyanen beschrieben worden. In erster Linie ist die hohe antioxidative Kapazität zu nennen (Zheng & Wang, 2003; Prior et al, 2003). Sie ist wesentlich höher als die der Vitamine C und E. In Studien wurden viele Effekte nachgewiesen, die auf die antioxidative Wirksamkeit zurückzuführen sind:
- Aronia schützt die Magenschleimhaut (Matsumoto et al, 2004)
- Aronia ist anti-mitogen (Gasiorowski et al, 1997)
- Anthocyane wirken anti-inflammatorisch (Rossi et al, 2003; Tall et al, 2004)
- Anthocyane reduzieren das Wachstum von Darmkrebszellen (Kang et al, 2003) (Malik et al, 2003)
Anthocyane schützen Gefäßendothelien vor oxidativem Stress (Serraino et al, 2003)
Aronia reduziert kardiovaskuläre Risikofaktoren (Naruszewicz et al, 2004)
- senkt erhöhte systolische Blutdruckwerte
- senkt Gesamtcholesterinkonzentrationen im Serum
- senkt Angiotensin-Converting-Enzym-Blutspiegel
- senkt CRP-Spiegel im Blut
Anthocyane schützen das Herz vor oxidativem Stress nach Ischämie-Reperfusion (Amorini et al, 2003)
Andere wichtige Wirkungen von Anthocyanen bzw. Aronia:
Antimikrobiell
Reduktion von Urogenitalinfektionen
Dunkeladaptation (positive Beeinflussung von Sehvorgängen)
Die antibakterielle und antivirale Wirkung hängt mit der Hauptaufgabe der Anthocyane in der Physiologie der Pflanzen, dem Schutz vor Infektionen durch Bakterien, Viren und Pilze zusammen. In diesem Zusammenhang ist auch eine Wirkung gegen Zahnkaries beschrieben worden.