Und es gibt ihn doch: Politischen Mut
von Tim Caspar Boehme & Hans-Peter Schmidt
In Zeiten, in denen Giftschlammfluten in Ungarn, vermehrte Tiefseebohrungen im Golf von Mexiko oder längere Laufzeiten für Atomkraftwerke jeglichen Optimismus auf eine nachhaltige globale Umweltpolitik zu ersticken drohen, ist es ermutigend zu erfahren, dass es auch anders geht. Politisches Handeln, das immer wieder gefordert wird, aber oft in Kompromissen versickert, kann tatsächlich radikale Veränderungen herbeiführen. So betreiben einige Staaten wider alle Erwartungen überzeugenden Artenschutz, indem sie zum Beispiel ihre Waldflächen vor Rodung schützen oder effektive Maßnahmen gegen die hemmungslose Überfischung und Zerstörung der Meere ergreifen.
In den meisten Fällen dienen solche Gesetze nicht nur dem Naturschutz, sondern erweisen sich erstaunlich schnell auch als wirtschaftlich profitabel. Gerade kleine Länder wie Costa Rica machen so vor, wie man zukunftsorientierte Politik gestalten kann.
Artenschutzkonferenz
Am Ende des für die Artenvielfalt so katastrophal wie je verlaufenen Internationalen Jahres der Biodiversität zeigte sich bei der UN-Artenschutzkonferenz im japanischen Nagoya, dass die politische Vernunft doch noch zu etwas weiter reichenden Entscheidungen fähig ist (solange zumindest die USA sich nicht beteiligt). Die Blockade zwischen Industrie- und Schwellenländern wurde am Ende aufgelockert und die Einrichtung eines Weltrats für Biodiversität beschlossen. Obwohl jedes der 193 Länder in Nagoya ein Vetorecht hatte, wurde ein Kompromiss geschlossen. Ob dieser jedoch letztendlich auch umgesetzt wird oder so wie das Artenschutzabkommen von Rio toter Buchstabe bleibt, ist trotz aller hoffnungsvollen Anzeichen ungewiss. Der Biodiversität wird es ohnehin nur dann nützen, wenn die einzelnen Regionen und Länder unabhängig von der globalen Bürokratie die Notwendigkeit und den Nutzen des Schutzes ihrer Lebensräume und Ökosysteme erkennen. Erst wenn die Menschen und Politiker vor Ort lernen, ihre Gewohnheiten in Frage zu stellen, und als utopisch gebrandtmarktes Denken als Überlebenschance begreifen, werden auch die bedrohten Arten wieder aufatmen können.
Dass ökovisionäre Politik durchaus wirtschaftlichen Handlungsspielraum besitzt, zeigt sich in einigen Entwicklungsländern derzeit deutlicher als in den Industrieländern, wo der Abstand zur Natur bereits derart riesig aufklafft, dass die Natur meist nur noch als romantisches Bild zur Untermalung des guten Gewissens herhält. Vor diesem Hintergrund erklären sich zahlreiche meist virtuelle Initiativen von Geldgeberländern und Stiftungen, zu denen nicht zuletzt auch der Future Policy Award gehört, der für vorbildliche Gesetzgebungen von Staaten verliehen wird, die nachweisbar positive Wirkung für die Umwelt zeigen.
Nobelpreis für Staatspolitik geht an Costa Rica
Nachdem im vergangenen Jahr Brasiliens politische Maßnahmen für Lebensmittelsicherheit und das Menschenrecht auf Nahrung ausgezeichnet wurden, würdigt der dieses Jahr in Nagoya verliehene Preis Costa Ricas Biodiversitätsgesetz von 1998. Wie kein anderer Staat hat es das zentralamerikanische Land geschafft, die Ziele des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt zu erreichen. Der zweitgrößte Bananen- und führende Ananas-Exporteur der Welt hat einen Anteil von lediglich 0,03 Prozent an der Erdoberfläche, beherbergt dafür aber ganze vier Prozent sämtlicher Flora- und Faunaarten und gilt als Paradies der Artenvielfalt. Um diesen Reichtum zu bewahren und das Land vor weiterer Rodung für Obstplantagen von Chiquita, Dole oder Del Monte zu schützen, hat das Land insgesamt 26 Prozent, also gut ein Viertel seiner Fläche zu Schutzgebieten erklärt. Damit wurden nicht nur das Abholzen des Regenwalds gestoppt, sondern durch Aufforstung zahlreiche einst gerodete Gebiete wieder ökologisch aufgewertet. Mehr als 50 Prozent des vor einigen Jahrzehnten von Kahlschlag bedrohten Landes sind heute wieder von Wald bewachsen. Parallel dazu hat sich der Staat als Pionier des Ökotourismus neue Einnahmequellen erschlossen, so dass der Hauptdevisenbringer mittlerweile die Tourismusbranche ist.
Der holländische Filmemacher Jan van den Berg hat einige Zeit in einer indigenen Gemeinschaft im Süden Costa Ricas verbracht, um die positiven Auswirkungen des preisgekrönten Biodiversitätsgesetzes zu dokumentieren.
Das Besondere am Future Policy Award ist, dass er ausdrücklich nicht an Einzelpersonen, sondern an Staaten verliehen wird. So sollen Gesetze gewürdigt werden, die besonders positive Auswirkungen auf die Lebensbedingungen heutiger und zukünftiger Generationen haben. Die Signalwirkung liegt auf der Hand: Mit öffentlichkeitswirksamen Gesten dieser Art kann verstärkt ein allgemeines Bewusstsein für Nachhaltigkeit geschaffen werden, damit auch andernorts ähnliche politische Entscheidungen beschleunigt auf den Weg gebracht werden. Ins Leben gerufen wurde die Auszeichnung vom World Future Council, einer gemeinnützigen Initiative, die vom Gründer des Alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexküll, angeregt wurde. Das World Future Council mit Sitz in Hamburg, das sich als „Stimme zukünftiger Generationen“ versteht, hat es sich zum Ziel gesetzt, bei Entscheidungsträgern auf eine nachhaltige und gerechte Politik im Interesse unserer Nachfahren hinzuwirken.
Politischer Mut
Wie die Kandidatenliste des Preises für Zukunftspolitik zeigt, steht Costa Rica keinesfalls allein mit seinen Maßnahmen für den Artenschutz. Auch die Toskana wurde bei der diesjährigen Preisverleihung im japanischen Nagoya lobend erwähnt. Mit dem toskanischen Gesetz zum Schutz und zur Förderung des Erbes lokaler Pflanzenarten wird die Idee von regionaler Samenvielfalt als kollektives Recht unterstützt - eine Reaktion auf die wachsende Gefahr des Schwindens von Biodiversität durch Monokulturen. So wurde mit dem Gesetz die Einrichtung von regionalen Banken für Keimgewebe zum Schutz vor dem Aussterben bedrohter Pflanzenarten angeregt. Mit Hilfe dieses Gesetzes lassen sich die Arten in der Region identifizieren und gebotene Schutzmaßnahmen festlegen. Weitere positive Beispiele aus der Shortlist für den Politik-Preis sind Australien für seine Schutzzonen am Great Barrier Reef, Norwegen mit seinem Naturvielfältigkeitsgesetz von 2009 oder auch Namibia mit seinem Meeresressourcengesetz aus dem Jahr 2000. Mit letzterer Verordnung wurden – trotz weltweiter Überfischung und Piraterie – nicht nur 14000 Arbeitsplätze und nachhaltige Fischerei geschaffen, sondern auch der Beifang und illegale Fischerei auf ein Minimum begrenzt.
Diese Beispiele zeigen, dass die Zukunft, wie es scheint, noch nicht verloren ist. Sie braucht nur mehr politischen Mut. Umso wichtiger, dass es ihn vereinzelt schon gibt.
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