Von der Überlegenheit der Bergbauern
von HP Schmidt
Die Sommer sind kurz, die Winter lang. Gemüse und Getreide wächst nur am Südhang auf schmalen Terrassen. Im Überfluss gibt es nur Steine und Holz. Ansonsten gibt es Gras meist über der Waldgrenze und auf einigen Lichtungen. Genug für ein paar Kühe, Ziegen, Schafe. Bergbauern sind keine Vegetarier, aber in der Regel Menschenfreunde. Man schätzt sich und hilft sich. Nie ist einer allein genug, um Steine oder Holzbalken zu tragen oder Wasserkanäle in den Berg zu schlagen. Man muss nicht Freund sein, aber miteinander auskommen. Alles ist leichter für die, die Freund sein können, wenn sie Wochen und Monate aufeinander angewiesen sind. Was hilft in den Bergen ist die Gravitation. Wasser fließt dahin, wo man es braucht, oder man kann es dahin kanalisieren. In der Regel muss man kein Wasser tragen, sondern nur eben dahin fließen lassen, wo man es braucht.
Es sieht alles nach extrem viel Arbeit aus, und man braucht Kraft, um immer wieder hochzulaufen, um etwas von oben nach unten oder von unten nach oben zu bekommen. Und im Winter ist es kalt, eigentlich ist es immer kalt, wenn nicht die Sonne direkt aufs Tagewerk scheint. Aber eigentlich gibt es zwischen all den Anstrengungen auch immer viel Zeit. Und weil der Bergbauer und seine Frau und die Kinder ohnehin so viel Energie haben, weil sie die ja auch immer wieder zum Überleben brauchen, wissen sie in den Zwischenzeiten, wo es nichts ganz Nötiges zu tun gibt, nicht wohin mit sich und ihrer Energie. Und so bauen sie Hütten in der Höhe, Wasserkanäle, Wege, Scheunen und Unterstände. Steine gibt es genug und Holz und so bauen sie, überall, wo es einen schönen und praktischen Platz zwischen dem Stammhaus in der nicht ganz so winterkalten Tiefe und der höchsten Sommerweide über der Waldgrenze gibt.
Bauern waren einst der wichtigste Stand eines jeden Landes. Nicht nur, weil sie die Lebensversorgung aller Bürger sicherstellten, sondern weil sie das Land in seinem Selbstverständnis als Heimat aufrecht hielten. Die Bauern waren widerstandsfähig und kräftig, aber vor allem unabhängig in ihrer Art, sich wie niemand sonst in und mit der Natur auszukennen. Sie waren aufrichtig und bedingt ehrlich, hart gegen sich und unnachgiebig gegenüber ihren Nächsten. Sie tranken viel und hatten immer recht, zur Not mit der Faust. Sie hingen an ihrem Land und an ihrer Freiheit, verteidigten sie mit ihrem Leben. Auch wenn sie oft verstritten waren, fanden sie sich für die großen Arbeiten zusammen, für die Wasserspeicher und Bewässerungskanäle und die Kirche im Dorf. Wo jede anfallende Arbeit Handarbeit ist, braucht es oft mehr als zwei Hände. Keine Steinhütten auf der Alm wurde von einem Einzelgänger gebaut.
Sie konnten aus dem Blick in den Himmel und dem Vogelflug das Wetter vorhersagen. Sie fanden Wild, kannten Pflanzen und Pilze. Sie waren abergläubig aus Not und schlugen über die Strenge, wenn ihnen danach war. Sie waren nicht weltläufig und kannten sich nicht aus mit der großen Politik, aber wenn ein feiner Herr sich in ihr Dorf verirrte, musste er ihre Überlegenheit in allen nur denkbaren, praktischen Dingen anerkennen. Daum wurden sie auch so gern für die Armee und sinnlose Kriege angeworben. Aber die meisten wussten sich dann schon zu verstecken, wenn sie ahnten, was in den Schlachten im Flachland auf sie zukommen würde.