Der Boden - ein Lebewesen und verkannter Partner
von Rolf Kaufmann
das Fehlen der Pflanzendecke. Dass auf Fels nichts wächst, scheint uns logisch. Aber im Sand? Was braucht es denn, dass Pflanzen wachsen können?
Was macht den Boden fruchtbar und kulturfähig?
Die Antwort ist bekannt: der Boden muss Humus enthalten. Humus ist das Medium, in dem sich die Lebensvorgänge des Bodens abspielen, Humus ist die eigentliche Voraussetzung für diese Lebensvorgänge und paradoxerweise gleichzeitig ihr Resultat. Über Jahrhunderte und Jahrtausende muss sich an einem Standort auf dem Muttergestein durch Ablagerung und Umformung von organischem, vorwiegend pflanzlichem Material, diese Schicht aufgebaut haben, die wir gemeinhin als ‚Erde' bezeichnen, und die wir schon als Kinder kennengelernt haben, wenn wir irgendwo in der Wiese ein Loch gruben. Als Kinder machten wir auch die Erfahrung, dass auf und auch in dieser Erde eine mannigfache Lebenswelt sich manifestiert, vor der wir uns fürchteten oder die wir grauslich fanden, wie Spinnen, Käfer, Schnecken, Würmer oder Mäuse und Maulwürfe oder gar Kröten.
In der Humusschicht, die sich vor allem auf den obersten Meter des Bodens verteilt, findet ein ständiger Auf- und Abbau von organischem Material statt. An der Oberfläche anfallendes organisches Material wie abgestorbene Blätter, Zweige, Gras, Erntereste oder auch Tierdung wird durch die Bodenorganismen ‚verdaut', es entsteht eine Art Rohhumus (auch Nährhumus genannt), der neu wachsenden Pflanzen Nährstoffe liefert. Ein Teil des Nährhumus kann umgebaut werden zum Dauerhumus, der eigentlichen Erdkrume. Diese fortwährende Umwandlung ist die Quelle der sich erneuernden Bodenfruchtbarkeit.
Der Angelpunkt dieses Systems ‚Humus' ist seine Lebendigkeit, d.h. die Anwesenheit von Organismen verschiedenster Art und Grösse, die in einem höchst komplexen Zusammenspiel mit den Wurzeln lebendiger Pflanzen in einem grandiosen Tanz des Lebens entstehen und vergehen. Die Bodenkundler bezeichnen die Gesamtheit dieser Lebewesen mit ‚Edaphon'. Dazu gehören - in absteigender Grösse - Käfer, Wanzen, Springschwänze und viele andere Insekten, Milben, Ringelwürmer, niedere Würmer, Protozoen, dann weiter Algen, Pilze, Aktinomyzeten und schliesslich Bakterien. Das Lebendgewicht dieser im Boden präsenten Organismen wird auf 5 - 25 Tonnen pro Hektare berechnet!
Aus der Sicht dieser Lebenswelt ist jeder mechanische Eingriff von aussen wie zum Beispiel ein Spatenstich eine lokale Katastrophe, die bodenwendende Pflugschar ein kleiner Weltuntergang. Doch wohnt dem System eine enorme Regenerationsfähigkeit inne und es tendiert dazu, den gestörten Gleichgewichtszustand so schnell wie möglich wieder zu erreichen. Aus der Sicht des ackernden Bauern schafft der Bodenumbruch nicht nur Platz für eine neue Kultur sondern auch die Ernährungsbasis des Edaphon zur Umarbeitung von rohem organischen Material in Nährhumus. Die Bodenbearbeitung löst, wie wir sagen, einen Mineralisierungsschub aus.
Der Boden im Weinberg
Auch im Weinberg werden dem Boden durch die Traubenernte und das Entfernen des Schnittholzes mineralische und zum Teil organische Stoffe entzogen,. In der Vergangenheit wurde dieser Entzug durch den Eintrag von Kuhmist wieder einigermassen ausgeglichen. Eine echte Gefahr für den Boden drohte hier von der Praxis des ‚Sauberhaltens' des Rebbergs, d.h. von der systematischen Ausmerzung aller Pflanzen ausser der Rebe. In den Hanglagen waren die nacktgehackten Böden in extremem Mass der Erosion ausgesetzt, Gewitterregen führten Humus tonnenweise zu Tal, von wo er manchmal in mühseliger Arbeit wieder hochgekarrt wurde.
In einem solchen System - nackter Boden, keine Konkurrenz - trägt der Effekt der Monokultur zur Verarmung des Bodens bei. Die Lebenswelt im Humus verliert an Artenreichtum und die stofflichen Umsetzungsprozesse gehen auf Sparflamme. Der misshandelter Boden verliert sein Gleichgewicht, es findet eine negative Selektion der Mikroorganismen statt, epidemische Boden- und Pflanzenkrankheiten sind die Folge, so dass noch stärkerer Pflanzenschutzmitte eingesetzt werden müssen, bis der Teufelskreis sich schließt.
Der moderne Weinbau, auch der konventionelle, hat dies erkannt. Die Begrünung der Weinberge - mit Einsaaten oder spontan, ganzjährig oder nur zeitweise - setzt sich langsam durch. Leider gilt die Aufmerksamkeit der meisten Winzer jedoch mehr dem oberirdischen als dem unterirdischen Geschehen im Rebberg. Würden sie mehr darauf achteten, was sich im Boden abspielt, würden sie sehr schnell auf das Ausbringen von wasserlöslichem Dünger (‚Kunstdünger') und den Einsatz von so genannten ‚Unkraut-Vertilgungsmitteln (und sei es nur unter der Rebreihe) verzichten. Für den Einsatz dieser Mittel geben meist arbeitstechnische und wirtschaftliche Überlegungen den Ausschlag. Der Boden ist geduldig. Jahre-, ja manchmal jahrzehntelang geht alles gut, bis man eines Tages feststellt: Der Wein schmeckt nicht mehr wie früher!
In Blinddegustationen lässt sich der Wein plötzlich nicht mehr dem Weinberg zuordnen, aus dem er stammt. Der Wein hat seine Typizität verloren, eine Art Lokalkolorit, die Franzosen sprechen von ‚terroir'. Eine Typizität, die nicht nur an die Traubensorte gebunden ist, sondern eben an eine Gegend, ein Mikroklima, einen Winzer und eben den Boden.
Verlorene Unschuld - Verlust des Terroir
Was ist geschehen? Die Brücke ist eingestürzt, jene Brücke nämlich, über die der unendlich subtile Austausch zwischen Pflanze und Boden stattfindet. Den Austausch zwischen Pflanze und Boden vermitteln Bakterien und Mykorrhizen, die auf den Wurzeln leben. Sie beziehen von der Pflanze organische Stoffe für ihre Lebensprozesse und stellen umgekehrt der Pflanze bodenbürtige mineralische Elemente in aufnehmbarer Form zur Verfügung. Je höher die biologische Aktivität des Bodens im Wurzelbereich ist, desto vielfältiger und intensiver fällt die Versorgung der Pflanze mit Mineralien und vor allem mit Spurenelementen aus. Und genau dies ist entscheidend für den Wein, verwendet die Rebe doch genau diese Spurenelemente für den Aufbau komplexer Moleküle und lagert sie teilweise als so genannte Aromapraekursoren in die wachsenden Trauben ein. In der Reifephase der Trauben entstehen daraus die Molekülketten der Aromastoffe, die wir teilweise schon beim Verkosten der Beeren erkennen, vor allem aber im Wein wieder finden (wobei sie durch die Prozesse der alkoholischen Gärung nochmals verändert und komplexer werden).
Nun ist mineralisch gesehen natürlich nicht jeder Boden gleich. Je nach geologischer Geschichte, vorliegendem Bodentyp und menschlichen Eingriffen hat ein Boden ein ‚mineralisches' Gesicht, ein individuelles Profil, das ihn vom Boden vielleicht nur hundert Meter entfernt unterscheidet. So kartierten die weinbauenden Mönche des Burgund schon im 14. Jahrhundert ihre Clos und vermerkten die Qualitäten einzelner Parzellen sowohl aufgrund der Unterschiede, die sie in den Böden beobachteten wie auch aufgrund der geschmacklichen Finessen des Pinot, der darauf wuchs.
Liegt eine Störung in der Wurzelzone vor, wird die Basis für den Austausch schmal oder die Brücke stürzt ganz ein. Die Komplexe bildenden Mineralien gelangen nicht mehr in die Pflanze, die Aromatik der Trauben und des Weins verflacht, das Terroir geht verloren. Als Grund für die Störung dieser Mechanismen sind meist falsche Kulturmaßnahmen zu nennen.
Das Ersetzen von organischen Düngern durch wasserlösliche (und direkt aufnehmbare) Mineraldünger führt nach und nach zum Absterben der Mikroorganismen in der Wurzelzone. Und so ist es nicht weiter erstaunlich, dass nach Jahren solchen Wirtschaftens, trotz scheinbarem Wohlergehen des Rebstocks die Qualität des Endproduktes Wein sich im Beliebigen auflöst.
Klaus Wende
25.01.2009 08:38
Ihre Artikel finde ich ganz vorzüglich. Endlich verstehe ich mehr vom Weinberg und den biolog.Vorgängen. Werde bei der nächsten Flasche daran denken...
Möge Ihnen weiterhin Erfolge gelingen und bleibe hocherfreut über weitere wissenschtl."Vorlesungen", Grüße aus köln, KLPW
Carsten Liersch
25.01.2009 09:11
Ein sehr anschaulicher und lehrreicher Artikel, der Lust auf mehr macht und dazu anregt, sich eindringlicher mit dem Thema "ökologischer Weinbau" zu beschäftigen, am besten bei einem Glas Wein.
Weiter so!
Viele Grüße aus Wunstorf
Carsten Liersch
Bernhard Wiesli
25.01.2009 20:04
Das Wissen um das Bodenleben wird kurz und anschaulich geschildert. Obwohl das Meiste bekannt ist, wird es nicht umgesetzt und dies macht den Artikel so authentisch. Ich möchte noch mehr wissen und es auch anbringen, z.B.: Was mache ich gegen den überhandnehmenden Mehltau an den Rosen? Warum fliegen Hunderte von Marienkäferlarven zum Nachbarn oder werden von den Ameisen gefressen, Blattläuse hätten wir zur Genüge bei uns.
Der Verlust des Terroir hat mir lehrreiche Zusammenhänge aufgezeigt und ist logisch, wird aber von der Preis-Leistungsmaxime überfahren, wobei diese aber falsche Praemissen hat.
Ich habe noch nicht alle Artikel gelesen, weitere machen aber gluschtig.
Bravo Ithaka!!
Peter Straub
26.01.2009 19:49
Erfolgreiche und krisenresistente Produktionssysteme beruhen auf anpassungs- bzw. wandlungsfähiger kooperativer Vielfalt. Sie beanspruchen viel Zeit und ertragen keinen willkürlichen Antrieb. Sie können nicht auf eine monozentrische Entscheidungs- und Lenkungskompetenz ausgelegt sein.
Soweit ein spontaner und vorläufiger Versuch, die von Rolf Kaufmann dargestellten Einsichten abstrakt zusammenzufassen.
Rotraut Langnese
08.06.2009 06:52
Der Artikel hat mir zu denken gegeben, was ich mit dem Düngen meiner Rosen an Bodenkultur zerstöre. Leider blühen sie beim zweiten Mal ohne Düngung nicht mehr so üppig. Im Herbst habe ich Pferdemist und Kompost verwendet, aber im Juni nehme ich immer nochmal mineralischen Dünger. Was könnte ich anders machen? Lupinen dazwischen pflanzen? Es handelt sich sowieso um ein mit Rosen und Stauden gemischtes Beet.
Herzlichen Dank für Ihre Anregungen und Bemühungen um einen anderen Umgang mit unserer Lebensgrundlage.