Eine letzte Chance für die Menschheit

von James Lovelock & Gaia Vince

James Lovelock, der Begründer der Gaia Theorie, beschrieb die Erde als ein sich selbst regulierendes System. Heute meint der 89jährige, es gäbe nur noch eine letzte Chance unseren Lebensraum auf der Erde zu retten.
Gaia Vince: Ihre Arbeit über atmosphärische Fluorchlorkohlenwasserstoffe führte zum weltweiten Verbot von FCKW, was die Erde vor dem Ozonabbau bewahrte. Bleibt uns noch die Zeit, bei den Kohlenstoffemissionen eine ähnliche Umkehr zu erreichen und die Klimaerwärmung noch abzuwenden?

James Lovelock: Nicht die mindeste Höllenhoffnung! Die ganze „grüne" Entwicklung der letzten Jahre ist doch im Grunde nur ein riesiger Schwindel. Der Handel mit Klimazertifikaten und all den staatlichen Subventionen ist genau das, wonach das Finanzsystem und die Industrie verlangen. Es wird nicht das mindeste am Klimawandel ändern, aber eine ganze Menge Leute bereichern. Ansonsten wird lediglich der Moment des bitteren Erwachens damit hinausgezögert. Ich bin nicht gegen erneuerbare Energien, aber dass die wundervolle englische Landschaft mit Windfarmen zugebaut wird, macht mich wahnsinnig. Es ist völlig unnötig. Es braucht 2500 Quadratkilometer um ein Gigawatt Energie zu erzeugen - das ist ungeheuerlich viel Landschaft.

Was halten Sie von unterirdischen Kohlendioxid-Speichern?

Bloßer Zeitverlust. Es ist eine verrückte Idee und ziemlich gefährlich. Es wird so viel Zeit und Energie kosten, dass es gewiss nicht verwirklicht wird.

Halten Sie Atomenergie noch immer für eine Lösung der Klimakrise?

Für Englands Energiekrise wäre es ein Ausweg, aber gegen den Klimawandel ist es keine globale Lösung. Es ist zu spät für Maßnahmen zur Emissionsreduktion.

Also stehen wir vor dem Untergang?

Es gibt noch einen Weg, um uns selbst zu retten, und das ist die massive Herstellung und Vergrabung von Biokohle. Bauern müssten die pflanzlichen Reststoffe ihrer Ernten zu biologisch nicht abbaubarer Biokohle pyrolysieren und wieder in die Böden einarbeiten. Der Kohlenstoff, den die Pflanzen während ihres Wachstums in ihren Zellen speichern, lässt sich durch die Pyrolyse in reiner und vor allem stabiler Form zurückgewinnen. Nur auf diese Weise lassen sich wirklich nennenswerte Mengen Kohlenstoff aus dem Karbonzyklus herauslösen und relativ schnell der CO2-Gehalt der Atmosphäre senken.

Wäre das tatsächlich ausreichend?

Ja. Die Biosphäre produziert jährlich 550 Gigatonnen Kohlendioxid, wobei der Anteil des vom Menschen verursachten Ausstoßes nur 30 Gigatonnen beträgt. 99 Prozent des in Pflanzen gespeicherten Kohlenstoffes gelangen bei natürlicher Verrottung durch Bakterien und Pilze wieder als CO2 in die Atmosphäre zurück. Würden wir dieses pflanzliche Material, anstatt es verrotten zu lassen, pyrolysieren und in Biokohle verwandeln, um es wieder in die landwirtschaftlichen Böden einzuarbeiten, würde der Atmosphäre dauerhaft CO2 entzogen. Da sich bei der Pyrolyse neben Biokohle zudem Energie gewinnen lässt, welche die Bauern verkaufen könnten, bräuchte dieses System keinerlei Subventionen. Die Bauern würden sogar ein neues finanzielles Standbein gewinnen. [nähere Informationen über Biokohle und Klimafarming finden Sie hier] Die Herstellung von Biokohle ist das einzige, was wir zur Verhinderung des Klimawandels noch tun können, aber ich würde wetten, dass dies nicht geschieht.

Ithaka Kommentar

Wir sind weder ganz so optimistisch noch ganz so pessimistisch wie James Lovelock, aber wir lieben seine Kunst der Provokation. Unseres Erachtens kommt es auf eine intelligente, standortabhängige Mischung alternativer Energieformen und Energieeinsparungen an. Wind-, Sonnen-, Wasser-, Biomasse-, Geothermie- und Gezeitenkraftwerke müssen entsprechend den örtlichen Voraussetzungen entwickelt werden und sich gegenseitig ergänzen. Wird lediglich eine Energieform massiv bevorzugt, kommt es notgedrungen zu Ressourcenverknappung und Gefährdungen des natürlichen Gleichgewichts. So verführerisch die Statistik der weltweit verfügbaren Biomasse auch klingen mag, sobald es sich als profitabler erweist, die mühsam aufzusammelnde Biomasse durch Monokulturen schnell wachsender Energiepflanzen zu ersetzen, wird die Natur genau wie eh und je zerstört. Genau das ist ja auch der Grund, weshalb wir mit Klimafarming ein Konzept erarbeiten, dass auf ein nachhaltiges, ganzheitlich orientiertes Landwirtschaftsmodel setzt.

Der unverkennbare Vorteil der Biomasse-Pyrolyse gegenüber allen anderen alternativen Energieformen besteht allerdings tatsächlich darin, dass die als Nebenprodukt entstehende Biokohle eine höhere Wertschöpfung verspricht, wenn man sie als Kohlenstoffsenke in landwirtschaftliche Böden einbringt, als wenn man sie zur Energiegewinnung verbrennt. Und das heißt, es wird ökonomisch interessanter, landwirtschaftliche Kohlenstoffsenken zu schaffen, als Energie zu produzieren. Keine Frage des Idealismus: it’s business.

Wenn wir den Kohlenstoff, den wir in den letzten Jahrhunderten tief aus dem Erdreich heraufbefördert und zu CO2 verbrannt haben, nicht wieder in den Boden zurück holen, können wir alternative Energien produzieren, soviel wir wollen, das CO2 bekommen wir dadurch nicht wieder aus der Luft heraus, und der Klimawandel findet trotzdem statt. Der Zustand der Atmosphäre hat sich so dramatisch verschärft - und insofern hat James Lovelock vollkommen Recht -, dass der bloße Umstieg auf alternative Energiequellen das Klima nicht mehr retten kann. Ohne einen totalen Wandel der weltweiten Landnutzung hin zu Klimafarming, das heißt zu nachhaltiger Bodenaktivierung und Biodiversität, zu intelligenter Ressourcennutzung und zu natürlichen Karbonsenken, wird das atmosphärische Kohlendioxid nicht gebunden und der Karbonzyklus immer weiter ins tödliche Ungleichgewicht verschoben. Das 21. Jahrhundert wird klimaagronomisch sein oder für viele unserer Enkel einfach nicht mehr stattfinden.(hps)

Denken Sie, dass wir überleben werden?

Ich bin ein optimistischer Pessimist. Ich halte es für falsch, wenn man denkt, dass wir 2°C Klimaerwärmung ohne weiteres überleben könnten. Es sind bereits jetzt zu viele Menschen auf der Erde. Eine Erwärmung von 4°C könnte höchstens 10 Prozent der jetzigen Weltbevölkerung überleben. Es wäre unmöglich, genug Lebensmittel zu erzeugen, es sei denn wir würden sie durch chemische Synthese produzieren. Die Auslese wird in diesem Jahrhundert ungeheuerlich werden, bis zu 90%. Die Anzahl der überlebenden Menschen wird am Ende des Jahrhunderts höchstens noch 1 Milliarde betragen. So etwas hat es schon früher gegeben: Zwischen den Eiszeiten sank die Anzahl der Menschen auf der Erde extrem. Genau das passiert nun wieder. Kyoto war vor 11 Jahren. Außer endlosem Gerede und Meetings ist seither nichts geschehen. Ich glaube nicht, dass wir schnell genug reagieren oder schlau genug sind, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Ein deprimierender Ausblick.

Nicht unbedingt. Ich glaube nicht, dass 9 Milliarden besser als 1 Milliarde sei. Ich sehe die Menschen eher wie die ersten Photosynthesizer, die nach ihrer Entstehung einen enormen Schaden durch die Produktion von Sauerstoff verursachten - damals ein gemeines, giftiges Gas. Es dauerte sehr lange, doch am Ende stellte sich heraus, dass dieses Gas von enormem Nutzen war. Ich betrachte die Menschen als etwas ganz ähnliches. Zum ersten Mal in ihrer 3,5 Milliarden Jahre alten Geschichte hat der Planet Erde eine intelligente Art hervorgebracht, die das gesamte System überschauen und sogar bewusst verändern kann. Diese Art ist noch nicht schlau genug, sie muss sich noch immer ziemlich viel weiterentwickeln, aber sie könnte eines Tages zu einem sehr positiven Faktor für das planetarische Wohlergehen werden.

Wie viel Biodiversität wird nach dieser klimatischen Apokalypse noch übrig bleiben?

Wir haben das Beispiel des eozänisch-paläozänischen Temperaturmaximus von vor 55 Millionen Jahren. Damals wurde etwa die gleiche Menge CO2 wie heute in die Atmosphäre ausgestoßen, und die Temperatur stieg für etwa 20.000 Jahre um ca. 5°C. Die Welt wurde fast überall zur Wüste, doch in den Polarregionen herrschte tropisches Klima. Die meisten Arten des Planeten hatten genügend Zeit, um nordwärts zu wandern, und überlebten. Als sich der Planet wieder abkühlte, kamen sie wieder zurück. Es fand also kein massives Artensterben statt. Die Nordwanderung findet übrigens schon statt: wer so wie ich auf dem Land lebt, kann den Klimawandel schon beobachten.

Hätten Sie Angst, wenn Sie jünger wären?

Nein, ich bin durch diesen emotionalen Schlamassel durch. Es erinnert mich an die Zeit als ich 19 war und der Zweite Weltkrieg begann. Wir hatten Riesenangst und trotzdem waren fast alle viel glücklicher. Wir waren viel besser darauf vorbereitet, mit solchen Situationen umzugehen, als es nach langen Friedenszeiten der Fall ist. Es hat nicht nur Nachteile, wenn die Zeiten rauer werden. Ich werde im Juli 90, ich bin dem Tod viel näher als Sie, aber ich fürchte mich nicht.

James Lovelock ist britischer Chemiker, Erfinder und Ökologe. Bekannt wurde er vor allem in den 1970er Jahren durch seine kontrovers diskutierte Gaia Hypothese. Sein neuestes Buch The Vanishing Face of Gaia erschien im Februar bei Basic Books. Auf Deutsch erschien zu letzt: Gaias Rache, Ullstein 2008.

Wir danken dem New Scientist Magazine (issue 2692) für die freundliche Genehmigung der Übersetzung. [Ithaka agrees to indemnify RBI and New Scientist against any claim arising from incorrect or misleading translation.]

Für weiter Informationen zu Biokohle und Terra Preta sei der sehr schöne Artikel im Geo Magazin vom März 2009, die Ithaka Artikel zu Klimafarming sowie die kürzlich in der Financial Times erschienene Reportage Black is the new green empfohlen.

    Bitte diskutieren Sie hier im Forum Ihre Gedanken und Kommentare zum Artikel.

    Bitte beachten Sie das Ihre E-Mailadresse bei uns im System hinterlegt sein muss um kommentieren zu können.
    Sie können sich hier für unseren Newsletter anmelden.