Pflanzenkohle als Baustoff für optimales Raumklima
von Hans-Peter Schmidt
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Nimmt man die über 1000 Inhaltsstoffe des Weines, auch wenn sie in ihrer Funktion längst nicht hinreichend durchschaut werden, einmal ernst und fragt, weshalb die Pflanze sich die Mühe macht, in jeder Traube eine solch riesige chemische Bibliothek anzulegen, und überlegt man weiter, was vom Zeitpunkt der Ernte bis zur Abfüllung des Weines mit all den Molekülen passiert, so erweckt diese bloße Vorstellung die gleiche Ehrfurcht vor den Wundern der Natur wie das Degustieren eines Jahrhundertweines mit völlig ausgeblichenem Etikett.
Der Wein aber besteht nicht nur aus der Zusammensetzung zahlloser Moleküle und Mineralien, sondern ist, sofern er nicht von Zauberlehrlingen zerstört wurde, ein lebendiges Elixier. Denn die meisten der organischen Moleküle im Wein wurden im Laufe des Weges von der Traube zum Wein durch die Aktivität von Hefen, Bakterien und Enzymen abgebaut, umgewandelt und komplexiert. Der Wein ist das Ergebnis eines biologischen, nicht eines bloß chemischen Prozesses. Und genau das macht die Einmaligkeit eines jeden Weines aus.
Bei der natürlichen Weinbereitung kommt ein großer Teil der Hefen und Bakterien, die aus dem Saft der Trauben den Wein hervorgehen lassen, auf der Haut der Trauben und in den Trauben selbst vom Weinberg in den Keller. Was ja nicht zuletzt auch der Grund dafür ist, dass die Förderung der Biodiversität und der Verzicht auf synthetische wie biologische Pestizide so entscheidende Bedeutung für die Qualität des Weines haben. Die Hefen- und Bakterienflora, die nicht nur Zucker zu Alkohol fermentiert, sondern für die überwältigende Komplexität und Aromenvielfalt des Weines sorgt, sind essentielle Bestandteile des Terroirs und müssen vom Winzer entsprechend geschützt werden.
Einfluss des Kellerklimas auf den Wein
Die Mikroorganismen, die mit den Trauben in den Keller gelangen, sind im Keller allerdings allzu häufig nur in der Minderheit. Denn an den Wänden des Kellers, auf dem Boden, an allen Gefäßen und Geräten kleben Sporen und Mikroorganismen von den Weinen der vorhergehenden Jahrgänge, die sich, sobald frischer Traubensaft in die Fässer fließt, wieder aktivieren und auf die Arbeit stürzen, sich ungehemmt vermehren und die noch „unerfahrenen“ Hefen und Bakterien aus dem Weinberg zurückdrängen.
Wer also einen natürlichen Wein keltern möchte und nicht auf Reinzuchthefen zurückgreifen will, der muss allerhöchste Obacht auf die mikrobielle Flora nicht nur im Weinberg, sondern auch im Keller achten. Jeder Weinkeller hat seine eigene mikrobielle Flora, die auf den Wein, wenn er denn natürlich vinifiziert wird, einen fast ebenso großen Einfluss ausübt wie das so berühmte Terroir jenseits der Kellermauern. Im Grunde ist das nichts anderes als in jenen traditionellen Käsereien, wo, wenn sie von einem Lokal zu einem anderen umziehen, die Wände der alten Käserei abgewaschen werden, um sodann mit diesem Waschwasser die neue Käserei einzustreichen und so die gewohnte und bewährte Mikroflora in das neue Gebäude zu übertragen.
An den Wänden, Gefäßen und Maschinen eines Kellers sind nun aber nicht nur die gewünschten Hefen und Bakterien zu finden, sondern auch unzählige andere, mehr oder weniger nützliche, neutrale oder schädliche Mikroben und Sporen. Als besonders problematisch gelten die nahezu unzähligen Arten von Schimmelpilzen wie Penicillium, Cladosporium oder Alternaria. Diese Schimmelpilze gefährden nicht nur den Wein durch ihre Stoffwechselprodukte, die sogenannten Mycotoxine, sondern sind auch für die Gesundheit der im Keller arbeitenden Personen schädigend.
Schwarze, blaue, grüne, weiße, orangene, unsichtbare Schimmel bilden sich insbesondere, wenn es bei zu hoher Luftfeuchtigkeit zur Bildung von Kondenswasser an den Wänden und Gefäßen kommt. Um dies zu verhindern, müssen zu hohe Luftfeuchtigkeit und rasche Temperaturschwankungen im Keller unbedingt vermieden werden. Doch anstatt für ein optimales Raumklima mit einer Luftfeuchtigkeit zwischen 60 und 75 % zu sorgen, wird in vielen Kellern vor allem zu sterilisierenden Mitteln gegriffen, deren Wirkung jedoch nur unvollständig ist, da sie sowohl die gute als auch die schlechte Mikroflora abtöten und für eine Belastung des Kellers mit chemisch oft bedenklichen Stoffen sorgen.


Pflanzenkohle-Lehmputz zur Kellersanierung
Um im Weinkeller für optimales Raumklima zur Förderung der natürlichen, aus dem Weinberg kommenden Mikroflora zu sorgen, wurden am Delinat-Institut Versuche zur nachhaltigen Restaurierung und Sanierung von Weinkellern durchgeführt. Einer der wesentlichen Bestandteile dieses Projektes war die Entwicklung eines Wandputzes auf Basis von Pflanzenkohle und Lehm. So wurden mittels eines neuen Verfahrens die Wände eines alten Walliser Kellers mit einer gut 10 cm dicken Schicht aus Lehm und Pflanzenkohle (siehe Foto) ausgespritzt. Die massive Beschichtung der Wände mit dem Lehm-Pflanzenkohle-Gemisch sorgt nicht nur für eine gute Wärmeisolation und damit für geringere Temperaturschwankungen, sondern vor allem für einen mächtigen Feuchtigkeitspuffer im Keller.

Der Spritzputz aus dem Pflanzenkohle-Lehm-Gemisch vermag in Kombination mit einer geeigneten Lüftung die Luftfeuchtigkeit im Keller das ganze Jahr über konstant bei idealen 60 – 80% zu halten und damit die Bildung von Schimmelpilzen und anderen für den Wein gefährlichen Mikroben zu verhindern bzw. deutlich zu reduzieren. Bei erhöhter Luftfeuchtigkeit nimmt die Wand die Feuchtigkeit rasch auf und gibt sie bei zu niedriger Luftfeuchtigkeit ebenso schnell wieder an den Raum zurück. Denn während zu hohe Luftfeuchtigkeit schädliche Mikroben fördert, ist auch zu niedrige Luftfeuchtigkeit nicht vorteilhaft. Sie führt zu Feinstaubbelastung, elektrostatischer Aufladung der Luft und zur Verdunstung von Wein aus Holzfässern.
Die Pflanzenkohle-Lehmschicht der Wände fungiert als Feuchtigkeitspuffer, wobei die Aufnahmefähigkeit an Wasser durch die aufgetragene Materialdicke und die Qualität der Kohle-Lehm-Mischung vorgegeben ist. Bei regelmäßig hohen Feuchtigkeitseinträgen durch das Erdreich oder das Abspritzen der Keller wird freilich auch diese hohe Pufferkapazität irgendwann erschöpft, so dass ergänzend ein möglichst natürliches Lüftungssystem der Keller vorzusehen ist.
Rezept des Pflanzenkohle-Lehmputzes
Für den Spritzputz werden dem abgemagerten Lehm 30 – 50% Pflanzenkohle zugemischt. Im Vergleich zu üblichen Lehmputzen wird dabei der Sandgehalt reduziert. Das Pflanzenkohle-Lehm-Gemisch enthält dann auf das Volumen bezogen 50% Pflanzenkohle, 30% Sand und 20% Ton. Diese Mischung wird auch für den Zwischenputz verwendet, wobei die Pflanzenkohle auf unter 5mm Korngröße gemahlen wird. Es entsteht ein anthraziter Putz von sehr noblem, leicht reflektierendem Anschein. Wird eine hellere Farbe gewünscht, reduziert man für den Oberputz den Pflanzenkohle-Anteil auf fein gemahlene 10 – 20%, so dass deckende Lehmfarben als letzte Schicht aufgebracht werden können. Die Verarbeitung der Putze ist problemlos, ebenso die Aushärtung. Im Vergleich zu Kalk- oder Zementputzen ist die Pflanzenkohle-Lehm-Mischung für die Hände der Arbeiter sehr angenehm, Handschuhe und Schutzkleidung erübrigen sich.
Bis Mitte 2013 wird die Firma Casadobe verschiedenen Pflanzenkohle-Lehmputze als Fertigprodukte auf den Markt bringen. Bis dahin gilt es noch die Mischungen zu optimieren und eine Reihe von Messungen zur Endfestigkeit, Wärmeleitung und Wasserhaltekapazität durchzuführen.
Die Pflanzenkohle kann ebenso auch gewöhnlichen Kalk- und Zementputzen in gleichen Verhältnissen untergemischt werden. Auch in diesen Putzen kann sie ihre hohe Isolationsleistung und Wasserspeicherkapazität ausspielen und entsprechend auch im Außenputz eingesetzt werden. Für den Innenputz freilich ist Lehm das für das Raumklima zu bevorzugende Grundmaterial.


Die Pflanzenkohle in der Lehmputz-Mischung sorgt dank ihrer enormen Oberfläche und Porosität für die Adsorption von Schadstoffen, Sporen und Mycotoxinen sowie für die Bindung der bei der Vinifizierung entstehenden Gase. Letzteres entzieht den Schimmelpilzen und sonstigen Mikroben die Nährstoffgrundlage. Die optimale Luftfeuchtigkeit und die Bindung von Toxinen hält eine gesunde Mikroflora im Keller aufrecht, was vor sensorischen Weinfehlern schützt. Die Erfahrungen einer ersten Wintersaison im Walliser Versuchskeller zeigen, dass sich die Luftfeuchtigkeit stabil zwischen 65% und 75% eingestellt hat.
Die gemeinsam mit der deutschen Firma Casadobe entwickelte Technik des Aufspritzens dicker Schichten von Pflanzenkohle-Lehmmischungen kann sowohl zur Restaurierung alter Keller als auch zur Sanierung moderner Betonkeller verwendet und natürlich auch bei Kellerneubauten eingesetzt werden. Auf Grundlage der Erfahrungen dieses ersten Sanierungsprojektes, das im kommenden Jahr mit wissenschaftlichen Messungen der Kellerflora und des Raumklimas fortgesetzt wird, hoffen wir einen natürlichen Weg zur Optimierung des Kellerklimas gefunden zu haben.
Pflanzenkohle-Lehmputze für den Wohnraum
Die Technologie der Gebäudesanierung mit Pflanzenkohle-Lehm-Gemischen, die das Delinat-Institut für Weinkeller entwickelt hat, lässt sich auch auf sonstige Räume wie Lebensmittellager, Ställe, Lagerhallen und nicht zuletzt auch auf Wohnräume übertragen. Denn gerade in Wohn- und Büroräumen hat eine optimale Luftfeuchtigkeit größten Einfluss auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Bewohner. Luftfeuchtigkeit unter 40% führt zum Austrocknen der Schleimhäute, was das Erkältungs-, Asthma- und Allergierisiko erhöht. Luftfeuchtigkeit über 70% führt in geschlossenen Wohnräumen zur erhöhten Belastung mit Schimmelsporen. Bereits eine zwei Zentimeter dicke Schicht eines Pflanzenkohle-Lehm-Putzes kann das Klima eines Wohnraumes merklich verbessern. Im Wallis wurden bereits zwei Häuser im Innenbereich mit Pflanzenkohle-Putzen restauriert. Die ersten Erfahrungen mit dem Wohnkomfort sind äußerst vielversprechend.
PS.: Der Putz aus Pflanzenkohle-Lehm hat übrigens auch eine abschirmende Wirkung gegen elektromagnetische Strahlungen, weshalb wir im Keller nun keinen Handyempfang mehr haben und uns wenigstens da ganz auf die Arbeit mit der Natur konzentrieren können.
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