Braucht die Natur Steuerberater um sich vor der Menschheit zu retten?

von Hans-Peter Schmidt

Würde in Mitteleuropa ein Klima wie in der Sahelzone herrschen und hätten wir unser Land genauso rücksichtslos behandelt, wie es seit dem Mittelalter in Europa üblich geworden ist, würden wir schon seit langem in der Wüste wohnen. Wir leben in einer Klimazone, die fast jede Dummheit verzeiht. Wir können ganze Landstriche abholzen, überweiden, erodieren, der Wald wächst trotzdem wieder, die Weiden bleiben saftig und mit ein bisschen Einsicht aus dem Schrecken, verhungert höchstens eine kleinere Minderheit. Diese Umweltsicherheit hat uns zu Herrschern über die Welt und, schlimmer als alles andere, zu eigendünkelnden Beratern selbst der Allerärmsten gemacht. Es gibt kaum eine Klimazone, die mehr Fehler verzeiht, als jene zwischen Alpen und Nordsee. Über Generationen hinweg hat uns dies den Leichtsinn zum Verbündeten gemacht. Die Sorgen um die Zukunft sind weitestgehend bürgerlicher Natur und stets von der Rückversicherung der nahezu alles entschuldigenden Natur unserer Breiten geprägt. Wir glauben, zur Not eben einfach wieder Kartoffeln anbauen zu können und ohne weiteres genügend Nahrung für die obersten zwei Drittel zu schaffen.

Druckausgabe im PDF-Format

Nirgends auf der Welt wurde die Natur über so viele Jahrhunderte hinweg mit derartiger Wucht und Uneinsichtigkeit bedroht, wirklich verheerende Spuren wie in Babylon, am Mittelmeer oder auf Island blieben trotzdem aus. Öfters war der unmittelbar bevorstehende Zusammenbruch der natürlichen Systeme auch in Mitteleuropa schon spürbar gewesen, doch die Robustheit des natürlichen Systems und die nicht zu leugnende Intelligenz der Leichtsinnigen, die häufig eine abstruse Art von Vernunft hervorkehrte, verhinderten jeweils das Schlimmste. Hunger war oft ein Gast auch der europäischen Städte, aber eingenistet hat er sich vor allem durch Kriege, Plünderungen und Brandschatz. Das, was angebaut wurde, hätte in Mitteleuropa eigentlich immer zur Versorgung aller gereicht. Weiter im Norden und weiter im Süden, war das ein anderes. Wenn es in Schottland, Irland, Island nach dem Abholzen der Wälder ein schlechtes Jahr gab, genügte die Fruchtbarkeit der erodierten Böden nicht aus, um das Land zu ernähren. In Andalusien, auf dem Peloponnes oder in Albanien, wo nach Überweidung nur noch Oliven und Wein den Böden eine Frucht entlockte, Gemüse nur noch bewässert in umhegten Gärten und Getreide fast nirgends mehr wuchs, sah es nur wenig anders aus.

Verknappung der Rohstoffe als Motor zur Erfindung der Nachhaltigkeit

In Mitteleuropa waren es erst der Bergbau und die frühe Industrialisierung, die die Wälder verschlangen, die Flüsse vergifteten, Staublungen und Rachitis verursachten. Erst durch die Industrialisierung ab dem 16ten Jahrhundert geriet die Balance zwischen dem Verbrauch und dem Nachwachsen der Ressourcen aus dem Gleichgewicht. Doch während sich in Britannien, Holland, Spanien usw. die abgeholzten Wälder nie wieder erholten, fruchteten in Mitteleuropa schon bald die Aufforstungsprogramme, sobald der Druck auf die knappe Ressource Holz nachließ. Der überhandnehmende Druck auf die Ökosysteme wurde durch Eroberungen und Kolonialisierung entlastet. Durch Ausbeutung ferner Regionen wurden die eigenen Lebensräume geschont. England, Spanien und Holland, die am meisten unter der Übernutzung und Zerstörung der eigenen Lebensräume litten, wurden zu den ersten Kolonialmächten. Schweden, Preussen, Habsburg und die italienischen Republiken mit ihren enormen Hinterländern beuteten zunächst diese aus und verpassten damit den ersten Sprung, zu Kolonialmächten zu werden.

In der europäischen Neuzeit waren nahezu alle lokalen Ökosysteme überlastet, bis sie auf Kosten der fernen Kolonien sowie durch den Abbau fossiler Rohstoffe wieder geschont wurden, sich zumindest in Mitteleuropa rasch wieder erholten und heute als Beispiel der Nachhaltigkeit allen Entwicklungsländern als hohe Moral und Vernunft vorgehalten werden.

Heute freilich stehen wir selbst in Mitteleuropa am Ende des letzten Auswegs. Auch die Ökosysteme der letzten Hinterländer und Kolonien sind aus dem Gleichgewicht geraten und ausgebeutet. Die Luft, die wir anderswo verpesten, fällt auf uns herab. Deutschland und Japan sind die am dichtesten besiedelten Länder mit den größten Flächenanteilen an Wald. Der Wald ist heilig, zumindest im eigenen Land.

Am Wald hat jede zivile Kulturgesellschaft mindestens einmal in ihrer Geschichte erfahren, welche Auswirkungen die unbegrenzte Ausbeutung der natürlichen Ressourcen für das Überleben der Gesellschaft haben. Doch das Vergessen ist ein rasender Teufel, der verhindert, Lehren aus der Geschichte zu ziehen.

Allein es rechnet sich nicht

Die Welt könnte ihre Energie innerhalb von 10 Jahren zu 90% aus erneuerbaren Quellen gewinnen. Der Grund dafür, dass es dazu nicht kommen wird, ist nicht etwa technischer Art, sondern hat einzig und allein sozioökonomische Gründe. Wobei das eigentlich wirtschaftliche Problem nicht etwa die volkswirtschaftlichen Kosten und auch nicht das fehlende Bewusstsein für die Dringlichkeit des Handelns sind, sondern daran liegt, dass das der Moderne zu Grunde liegende Wirtschaftssystem nur die Investitionen als empfehlenswert einstuft, die sich innerhalb der geltenden Systemgrenzen berechnen und möglichst kurzfristig Gewinne abschöpfen lassen.

Im derzeitigen Wirtschaftssystem werden weder ökologische noch soziale Folgekosten einberechnet, die Zeit der Zukunft gilt lediglich als Quotient der Rendite. Je mehr das Risiko einer alles bedrohenden Krise, eines sozialen, ökonomischen und ökologischen Zusammenbruchs zunimmt, desto stärker geht die Kurzfristigkeit des Gewinnrückflusses in die Wirtschaftlichkeitsrechnung ein. Je größer das Risiko anwächst, dass eine Investition durch eine herannahende Krise in Form einer Währungsreform, einer Hungersnot, eines Krieges, einer Immobilien- oder sonstigen Blase nicht rechtzeitig amortisiert werden kann, desto höher werden nicht nur die Zinsen auf das eingesetzte Kapital, sondern vor allem auch der Druck, dass sich der Zeitrahmen der Amortisierung verkürzt. Eine Investition, die sich erst über 20, 50 oder wie im Falle der Anlage eines Waldes gar erst über 100 Jahre abschreiben lässt, wird in Zeiten wachsender Unsicherheit zu einem nicht mehr vertretbaren wirtschaftlichen Risiko.

Je stärker die Gefährdung des ökologisch-sozialen Gleichgewichts ins Bewusstsein von Investoren dringt, desto mehr wächst das Interesse an kurzfristig rentablen Investitionen, wie zum Beispiel börsliche Termingeschäfte und rasch austauschbare Konsumgüter, was der nachhaltigen Planung und Lenkung der ökologisch-sozialen Zukunft entgegen läuft. Aufgrund des derzeitigen auf Kurzfristigkeit getrimmten Wirtschaftssystems, das sich abergläubischer als die primitivste Religion der lenkenden Hand des Marktes verschreibt, zurrt sich der Teufelskreis von immer kurzfristigeren Investitionen und immer langfristigerer Schäden des Ökosystems immer enger.

Schon mit der heute verfügbaren Technologie könnten aller Strom und alle Wärme, die für den Lebens- und Konsumkomfort weltweit benötigt werden, aus Biomasse, Solar-, Wind- und Gezeitenkraftwerken gedeckt werden. Allein es rechnet sich nicht, weil einerseits die ökologischen und sozialen Folgekosten der derzeit verwendeten Technologien aufgrund zu kurzer wirtschaftlicher Zeithorizonte nicht in den Preis eingerechnet werden und weil andererseits die Investitionen alter, umweltschädlicher Technologien gerade erst abgeschrieben sind und rein marktwirtschaftlich Gewinne einfahren.

Umweltverbrauchssteuern

Trotzdem müsste man nicht einmal den Kapitalismus neu erfinden, um die ökologische Krise zu bewältigen. Zwar bricht wahrscheinlich das auf den vollkommen fiktiven Geld-, Kredit- und Optionswerten basierte und durch Banken verwaltete Finanzsystem eher als das Weltklima und die regionalen Ökosysteme zusammen, nötig allerdings wäre auch dies nicht unbedingt. Schließlich besteht das Hauptproblem doch darin, dass im fiktiven Geldwert der Dinge nur die fiktiven Kosten ihrer Herstellung und Vermarktung eingehen. Je näher man in der Wertschöpfungskette eines Produktes zum Endkunden kommt, desto höher werden die Margen und die Deckung der Kosten. Seien es Produktdesigner, Werbeagenturen, Steuerberater, Juristen oder Vermögensberater, der Anteil vom Kuchen wird umso größer, je höher der fiktive Mehrwert ist, mit dem eine Berufsgruppe ein Produkt auszustatten vermag. Je näher man hingegen in der Wertschöpfungskette zurück zu den Rohstoffen, den Ökosystemdienstleistungen und der eigentlichen Rohstoff transformierenden Arbeit rückt, desto geringer werden die Margen und damit der Spielraum, um externe, reale Kosten zu decken.

Die realen Kosten eines gefällten Baumes, eines erodierten Ackers, einer klimabelastenden Gewinnung von Energie, eines für monokulturellen Anbau zerstörten Biotops, eines Grundwasser verseuchenden Abbaus von seltenen Erzen usw. usw. müssten folglich erst am anderen Ende der Wertschöpfungskette ins Wirtschaftssystem eingerechnet werden. Das Mehl zum Backen eines Brötchens, das für einen Euro beim Bäcker verkauft wird, kostet lediglich 5 Cents. Würde z.B. durch Pestizidsteuern das Mehl um 20% teurer, hätte dies kaum Auswirkungen auf den Preis für den Endverbraucher und würde somit auch das Kaufverhalten wenig beeinflussen. Um das Konsumverhalten tatsächlich beeinflussen zu können, müssten die Umweltkosten prozentual auf den Endverbraucherpreis aufgeschlagen werden, womit sie rückwirkend die jeweiligen Produktionsweisen beeinflussen würden.

Umweltverbrauchssteuer als Zins für die Zukunft

So wie der Zinssatz eines Kredites über das Risiko der vereinbarten Rückzahlung in der vereinbarten Kreditlaufzeit und der in diesem Zeitraum erwarteten Inflation berechnet wird, so müssten auch die Werte der durch das Produkt verloren gegangenen Ökosystemdienstleistungen, der sonstigen durch die Produktion verursachten Umweltbeeinträchtigungen und die Reduktion verfügbarer Rohstoffreserven auf den Endpreis eines Produktes aufgeschlagen werden. Das kapitalistische System würde damit in keiner Weise gefährdet, es würde lediglich, so wie heute bereits die dann abzuschaffende Mehrwertsteuer, eine Rohstoff- und Umweltsteuer als Lenkungsabgabe auf den Konsum von Wirtschaftserzeugnissen aufgeschlagen (siehe auch: Pestizidsteuer, Fleischsteuer, Rohstoffsteuern – keine Lohnsteuern).

Der Verbrauch von Ökosystemdienstleistungen sowie von nicht erneuerbaren Rohstoffen und damit die Beeinträchtigung der Habitatsqualität künftiger Menschen würden somit in den Endpreis eines Produktes einberechnet. Dies würde für die Produktion von Solarzellen, Brotgetreide und Zement ebenso wie für Atomenergie, Holzmöbel, Fleisch und Plastikeinkaufstüten zutreffen.

Die Höhe der Umweltverbrauchssteuer (UvSt) müsste nach einem zu etablierenden Code der Umweltschädlichkeit bzw. Umweltnützlichkeit auf den Verkaufspreis aufgeschlagen bzw. von diesem abgezogen werden. Entsprechend dieses Codes würden die Produkte in Steuerklassen eingeordnet, die im Sinne eines Bonus-Malus-Systems auf den Endkundenpreis angerechnet werden. Der Faktor für eine solche Umweltsteuer ließe sich über einen Algorithmus der verschiedenen für ein Produkt verwendeten Rohstoffe sowie Produktionsverfahren berechnen und jeweils nach den neuesten Erkenntnissen der Ökosystemforschung anpassen.

Es handelt sich dabei um eine indirekte Marktsteuerung, durch die der Preis umweltschädlicher Produkte erhöht und der Preis umweltschonender Produkte gesenkt wird. Dem Endkunden käme somit der größtmögliche Einfluss auf die Produktionsweise und den Respekt nachhaltigen Wirtschaftens zu. Die ökologische Verbesserung der Produktionsbedingungen würde sich auf diese Weise durch den Markt und die Konkurrenz der Anbieter regulieren.

Mit der über die Umweltverbrauchssteuer eingenommenen Steuersumme könnte der Staat zudem wieder seiner Pflicht zur nachhaltigen Steuerung der Wirtschaftpolitik nachkommen, indem er die Forschung, die Ausbildung und die Entwicklung von Schlüsseltechnologien wie zum Beispiel die Produktion und Speicherung erneuerbarer Energien fördert. Vernünftigerweise sollte die Umweltverbrauchssteuer darüber hinaus durch soziale Kriterien der Wertschöpfung ergänzt werden. Im Grunde sollte diese Steuer ohnehin besser als Zukunftsverbrauchssteuer angesehen werden, worin die Ökosystemdienstleistungen ebenso wie die Dienstleistungen für eine sozial gerechte Gemeinschaft einbezogen werden.

Braucht die Natur also Steuerberater um sich vor der Menschheit zu bewahren?

Gibt es denn wirklich keine anderen Lösungen, als mit den gleichen Mitteln, die in den Untergang führten, das elende Loch wieder heraufzuklettern? Ist es nicht ein Armutszeugnis, den Untergang nur dadurch zu verhindern, dass man sich für seine Bedürfnisse finanziell bestraft. Wie billig muss eine verschrumpelte Biokarotte sein, damit man sie der geschmacklosen Schönen aus dem chemiegetränkten Sandboden vorzieht? Wie teuer muss das Heizöl werden, um unter drei Wollpullis und einem Lodenmantel an der veganen Weihnachtstafel zu sitzen?

Es kann nicht nur eine Frage des Geldes und der Steuern sein. Der Mensch ist ein von Genuss gelenktes, ästhetisch getriebenes, sozial abhängiges und nur zu gern auch rebellisches Wesen. Um die Natur vor dem Menschen zu retten, darf man sich nicht nur als moralischer Lustverhinderer aufspielen, sondern muss Lösungen finden, denen die Leute zujubeln. Der ästhetische Trieb muss bejaht werden. Die umweltfreundliche Lösung muss durch Qualität bestechen, durch Ästhetik und Funktionalität begeistern, durch Cleverness überrumpeln. „Nicht gegen, sondern mit der Natur“ muss zu einem Programm der Intelligenz und der Lebenslust werden. Verbote und moralische Gängelung haben das Abendland seit 2500 Jahren weder gerechter, noch schöner, noch lebenswerter gemacht, sondern nur die Hölle ausgeräumt, isoliert und zwangsbelüftet, um auch da noch zu frieren.

Machen wir nicht den Jahrtausende alten Fehler, aus lauter Eigendünkel Ideale zu befehlen und Menschen zu Maschinen abstrakter Vernunft zu machen. Springen wir von Stein zu Stein durch den Morast und legen Saaten, damit das Leben hilft, Duft aus dem Gestank zu pressen. Niemand stecke eines anderen Kopf in den Sand, nur um ihn besser treten zu können.

Druckausgabe im PDF-Format

    Bitte diskutieren Sie hier im Forum Ihre Gedanken und Kommentare zum Artikel.

    Bitte beachten Sie das Ihre E-Mailadresse bei uns im System hinterlegt sein muss um kommentieren zu können.
    Sie können sich hier für unseren Newsletter anmelden.