Klimaverträge der Generationen: Generativität
von HP Schmidt
Psychologische Studien legen nahe, dass Menschen, welche von sich sagen: «Mir liegt etwas daran, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen.» oder: «Ich möchte dazu beitragen, dass auch die Generationen nach uns noch ein gutes Leben haben», einen besonders hohen Sinnwert haben. In der Psychologie werden solche Aussagen dem Konzept der Generativität zugeordnet.
Generativität bedeutet, dass eine Person oder Gemeinschaft ihr Handeln darauf ausrichtet, dass unterschiedliche Generationen aufeinander angewiesen sind. Sie berücksichtigen in ihrem Denken und Handeln, dass es sowohl eine individuelle als auch eine kollektive Verantwortung für nachfolgende wie auch für vorhergehende Generationen gibt. Man sorgt sich also nicht nur darum, dass es den Kinder- und Enkelgenerationen gut ergeht und man ihnen eine lebenswerte Umwelt und Gesellschaft hinterlässt, sondern man nimmt auch die Verantwortung wahr, die Mühen und Vorhaben früherer Generationen zu ehren und fortzusetzen, aus ihren Erkenntnissen und Fehlern zu lernen und letztere zu korrigieren.
Die Betonung der Verantwortung für frühere Generationen ist gerade im Zeitalter der rapiden technischen Entwicklung außerordentlich interessant. Die Klimaerwärmung ist durch die ungebremste Verbrennung fossiler Kohlenstoffe verursacht worden, und man könnte dies leicht als Schuld vorhergehender Generationen beschreiben. Man könnte dies allerdings zugleich als die große Erfolgsgeschichte der letzten drei Generationen darstellen: dass heute über acht Milliarden Menschen ernährt werden, die Lebenserwartung sich im Weltdurchschnitt verdoppelt hat und durch Alphabetisierung und Internet fast jedem ein noch vor kurzem komplett unvorstellbarer Zugang zum globalen Wissen ermöglicht wurde.
Es geht in der Generativität aber weder um Dankbarkeit noch um Schuld, sondern um das Kontinuum der menschlichen Entwicklung, in dem die Etappen von Abel und Kain bis zur künstlichen Intelligenz keine Linie vom Primitiven zur historischen Perfektion bilden, sondern jeweils verschiedene, voneinander abhängige, teils gelingende, teils scheiternde Versuche sind, der Menschheit ein gutes Leben in der Welt zu ermöglichen.
Hinsichtlich des Klimas bedeutet dies aber auch, dass wir nicht nur für die künftigen Generationen verantwortlich sind, sondern auch in der Pflicht stehen, das Versprechen der älteren Generationen auf eine lebenswerte Zukunft einzulösen. Die technische Entwicklung der letzten 100 Jahre ist erst vollständig, wenn die damit verbundene ökologische Zerstörung und die Verursachung des Klimawandels rückgängig gemacht worden sind. Es ist eine begonnene Arbeit, die unsere und die auf uns folgenden Generationen abschließen müssen.
Wir stehen in der Verantwortung, das Wissen und Können der früheren Generationen zu bewahren. Es kann nicht sein, dass wir kein Haus mehr ohne Stahl und Beton, ohne Nägel und Schrauben erdbebenfest bauen können. Oder dass ein Bauer zwar tonnenweise ein oder zwei hochgezüchtete Getreidearten produziert, aber nicht einmal mehr seine Familie ohne Dünger und Pestizide ernähren kann. Wir haben so viel verlernt, was wir so gut konnten.
Generativität bedeutet aber auch, dass künftige Generationen eine Verantwortung dafür tragen, unsere begonnenen Arbeiten fortzusetzen, unsere Fehler zu korrigieren, das Haus weiterzubauen anstatt es einzureißen. Wir können keine perfekte Welt hinterlassen, ebenso wenig wie die früheren Generationen uns eine perfekte Welt hinterließen, und auch die kommenden Generationen werden es nicht können. Wir entwickeln uns weiter und sind Teil einer intergenerationellen Entwicklung.
Wir können unsere Emissionen nicht innerhalb eines Fünfjahresplans auf Null reduzieren, ohne das Wohlergehen der Völker und die Welternährung zu gefährden. Die klimaerwärmende Wirkung unserer heutigen Emissionen lässt sich nicht ein für alle Mal rückgängig machen, indem der Kohlenstoff wieder aus der Atmosphäre entzogen, wieder in Erdöl verwandelt und wieder unter die Erde zurückgepumpt wird. Wir stehen hier vor einer Aufgabe, für deren Erfüllung es mindestens die nächsten vier, fünf oder zehn Generationen brauchen wird. Was wir aber heute bereits tun können und müssen, ist den Weg dafür vorzubereiten und sicherzustellen, dass die Zerstörung der Lebensumwelt nicht unumkehrbar wird.
Doch damit sei nicht zum Aufschieben ermuntert – das Gegenteil ist der Fall. Wir entwickeln neue Klimatechnologien und lassen uns die Zeit, diese hinreichend zu prüfen, um in ihrer globalen Skalierung nicht mehr Schaden als Nutzen zu verursachen. Und wir entwickeln in voller Transparenz die Argumente, die es den Völkern erlaubt, in demokratischen Entscheidungen den nötigen Wandel der Gesellschaft herbeizuführen.
Wir können zudem schon heute dafür sorgen, dass die Klimaerwärmung, die durch unsere Emissionen verursacht wird, zunächst für dieses, dann für das nächste und dann erneut für das übernächste Jahr durch temporäre Kohlenstoffsenken ausgeglichen wird. Dies bereitet den Weg, damit die technischen Lösungen, die etwas mehr Zeit brauchen, nicht zu spät kommen. Mit der intellektuellen und technischen Erarbeitung der Voraussetzungen geben wir den kommenden Generationen die Mittel an die Hand, um die Probleme zu lösen, die wir selbst noch nicht zu lösen vermochten.
Jonas Fisch
28.04.2025 08:30
Die Verbindung zur Tradition
Das ist sehr interessant, die in die Zukunft und in die Vergangenheit reichende Verantwortung der Generationen. Ein weiterer Aspekt scheint mir hier, dass die neuen Generationen (X, Y, Z) immer mehr die Verbindung zur Tradition verlieren und damit ihren Anteil am Generationenvertrag verletzen. Hier droht es zu einem Bruch der menschlichen Kultur zu kommen, der unter Umständen schwerwiegender sein könnte als der Klimawandel und die künstliche Intelligenz.
Hans Haase
28.04.2025 09:46
Welche temporäre Senken?
Spannender Beitrag – danke dafür! Ich frage mich aber: Welche temporären Kohlenstoffsenken sollen das denn konkret sein? 🤔 Ich habe da meine Zweifel, ob solche Lösungen im nötigen Maßstab wirklich realistisch sind. Wachsen Bäume schnell genug? Kann Vertiver-Grass dazu beitragen? Oder geht das auch ohne Pflanzen? Freue mich auf weitere Gedanken dazu!