Die Plastik-Hoffnung

von HP Schmidt

Das erwartete Wachstum der Plastikindustrie würde fast die Hälfte der heutigen Rohölförderung beanspruchen. Alle Klimaziele würden allein dadurch unerreichbar. Doch es könnte auch anders gehen. Statt aus Erdöl lässt sich der notwendige Kohlenstoff auch aus der Atmosphäre gewinnen. Damit ließe sich nicht nur das Klima retten, sondern auch die Nationen rohstoffunabhängiger machen.

Von 2000 bis 2019 verdoppelte sich die weltweite Plastikproduktion von 200 Millionen auf 400 Millionen Tonnen pro Jahr. Laut Prognosen der OECD wird sie sich bis zum Jahr 2060 noch einmal verdreifachen – auf rund 1,2 Milliarden Tonnen Plastik pro Jahr.

Der Kohlenstoffgehalt von Plastik liegt bei durchschnittlich 80%. Die 1,2 Milliarden Tonnen Plastik entsprechen daher etwa (1,2 t * 80% C * 44/12=) 3.5 Gigatonnen (Gt) CO2e, die bei deren der Verbrennung wieder freigesetzt werden. Zusätzlich werden bereits bei der Herstellung von Plastik je nach Kunststofftyp durchschnittlich 2,7 Tonnen CO2e pro Tonne Plastik emittiert.

Bei der erwarteten Jahresproduktion von 1,2 Milliarden Tonnen Plastik würden die Herstellung und die Verbrennung am Ende des Lebenszyklus der Plastikprodukte also rund 6.2 Milliarden Tonnen CO2e (6,2 Gt CO2e) verursachen.

Die Ziele von UNO, EU, IPCC und dem Pariser Klimavertrag sehen vor, die globalen Nettoemissionen bis 2050 auf null zu reduzieren. Dies bedeutet, dass nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen als wieder aus der Atmosphäre entfernt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen die Emissionen zunächst auf rund 10% der Emissionen von 1990 reduziert werden. So hat zum Beispiel Deutschland im Klimaschutzgesetz festgelegt, die Emissionen bis 2040 um 88% gegenüber 1990 zu senken.

Doch 10% der globalen Emissionen von 1990 entsprechen lediglich 2,3 Gt CO2e. Allein die erwarteten Plastikemissionen im Jahr 2060 wären also fast dreimal so hoch wie das verbleibende Emissionsbudget, das durch C-Senken kompensiert werden müssten. Allein die prognostizierten Emissionen der Plastikindustrie zeigen, wie unrealistisch viele gesetzlich verankerte Klimaziele sind, wenn die Kunststoff-, Beton und Stahlproduktion nicht grundlegend transformiert werden. Klimaschutz bedeutet nicht nur, Strom aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen oder Zapfsäulen durch Ladestationen zu ersetzen. Entscheidend ist eine grundlegend neue Industriepolitik, welche die Produktionssysteme für Kunststoff, Beton, Asphalt, Dünger und Stahl neu denkt und entsprechend fördert und reguliert.

Wenn es selbst in Deutschland und der Schweiz keinen Plan gibt, die Kunststoffindustrie konsequent auf rezyklierten Kohlenstoff umzustellen, ist das Ziel, die Emissionen auf höchstens 10% des Niveaus von 1990 zu begrenzen, nicht erreichbar.

Doch so muss es nicht kommen. Die ersten industriellen Kunststoffe waren nicht aus Erdöl, sondern aus Biomasse hergestellt. Zelluloid wurde zum Beispiel aus Zellulosenitrat und Baumrindenessig produziert. Auch heute werden Kunststoffe wieder vermehrt aus Biomasse gewonnen. Doch um Massenware wie Polyethylen oder PET vollständig aus der Erdölabhängigkeit zu lösen, muss eine größere und chemisch leichter zu standardisierende Kohlenstoffquelle erschlossen werden. Das CO2 aus der Atmosphäre, das bisher vor allem als Problem gesehen wurde, wird hier zur größten Chance. CO2 ist eine noch viel besser standardisierte und letztlich billiger zu fördern Kohlenstoffquelle als Erdöl, und ist allgegenwärtig vorhanden.

Einmal abgesehen von der Frage, ob die Welt wirklich noch dreimal mehr Plastik braucht und es in dieser Zeit auch schafft, die ungeheuerlichen Müllmengen zu sammeln und zu entsorgen, so besteht hier auch eine enorme industrielle Chance, dass sich die Welt von den fünf größten und mächtigsten Firmen der Welt befreit (Abbildung 1).

 

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Abb. 1: Die fünf mächtigsten und umsatzstärksten Industrieunternehmen der Welt (nur nach Marktkapitalisierung sind die großen Internetunternehmen höher bewertet). Quelle: Fortune Global 500 (2024).

Erdöl und Erdgas sind nur in einigen wenigen Ländern verfügbar, was die allermeisten anderen Staaten in strukturelle Abhängigkeit von Eröldynastien bringt. Kohlenstoff aus der Atmosphäre hingegen steht jedem Land der Welt gleichermaßen und in gleicher Konzentration zur Verfügung. Es ist nur eine Frage der erneuerbaren Energiemenge, um CO2 aus der Luft oder industriellen Emissionen zurückzugewinnen. Die Abscheidung von CO2 aus der Müllverbrennung, ist energetisch und technisch am naheliegendsten. Ist es doch ein Rohstoffverschwendung sondergleichen, den kostbaren Kohlenstoff einfach in die Atmosphäre zu blasen, anstatt ihn in unmittelbarer Nähe industriell aufzubereiten und wieder nutzbar zu machen.

CO₂ kann mit grünem Wasserstoff (aus Elektrolyse mit Solarstrom) zu Methan (CH₄) reagiert werden. Methan ist chemisch identisch mit fossilem Erdgas. Es lässt sich nahtlos in bestehende petrochemische Prozessen integrieren – für die Herstellung von Kunststoffen, Medikamenten, Kohlefasern und synthetischen Treibstoffen.

Anstatt Erdöl und Erdgas aus Russland, Arabien, Nigeria, den USA oder Venezuela zu importieren und zusätzliche Emissionen durch Transport, Lagerung und Leitungsverluste zu verursachen, könnten Länder wie die Schweiz ihre Kunststoff- und Pharmaindustrie auf inländisch erzeugte Rohstoffe umstellen. Die Nachrüstung aller Schweizer Müllverbrennungsanlagen mit CO₂-Abscheidung wäre ein erster entscheidender Schritt.

Vom Bund gefördert und kofinanziert über Emissionsabgaben, wäre dies die wohl effizienteste Form moderner Wirtschaftsförderung: Sie reduziert Emissionen, stärkt die nationale Rohstoffsouveränität und schafft Investitionsanreize für regionale Wertschöpfung. Auch der sommerliche Überschuss an Solarstrom könnte so endlich sinnvoll genutzt werden, anstatt ihn zur Netzstabilisierung zu vernichten. Es wäre der entscheidende Schritt in die zirkuläre Kohlenstoffwirtschaft (Carbon Recycling Economy). Wenn Roboter und künstliche Intelligenz die Dienstleistungsgesellschaft ablösen, wird die Sicherung der nationalen Rohstoffverfügbarkeit über Wohlergehen und Untergang von Nationen entscheiden.