Pflanzen wir einen Apfelbaum, oder zwei

von HP Schmidt

Angeblich wurde Martin Luther vor 500 Jahren gefragt, was er heute tun würde, wenn morgen der Weltuntergang käme, worauf er geantwortet haben soll, dass er einen Apfelbaum pflanzen würde. Ich habe mich immer gewundert, wie jemand, der vermutlich nie einen Apfelbaum oder irgendeinen anderen Baum gepflanzt hat, plötzlich auf die Idee kommt, einen Apfelbaum zu pflanzen. Sein Vater war Hüttenmeister in Eisleben, und sie lebten, auch wenn die Familie ursprünglich bäuerlicher Herkunft war, ein bürgerliches Stadtleben. Wenn sie einen Garten am Haus hatten, so hatten sie sicher einen Gärtner und hätten den Stolz, den bürgerlichen Aufstieg geschafft zu haben, nicht damit befleckt, dass sich die Kinder mit Gartenarbeit die Fingernägel beschmutzen.

Tatsächlich ist der Lutherspruch erstmalig am Ende des zweiten Weltkriegs im Jahre 1944 von Pfarrer Karl Lotz in Hessen nachzuweisen. Es ging darum, in einer aussichtslos scheinenden Situation Hoffnung und Mut zu machen, trotz aller Verzweiflung einen Neuanfang zu wagen. Und in diesem Sinne hat der Spruch einen markanten Platz in der deutschen Kultur gefunden. Die Ökologie- und Klimaschutzbewegung hat sich den Spruch ebenfalls auf die Fahnen geschrieben, vor allem, um ihrer populistischen Apokalytik ein Gegengewicht zu geben und aus der Schwarzmalerei wieder einen Farbhorizont hervorgehen zu lassen.

Es gibt aber noch einen ganz anderen Aspekt der Baumpflanzung am letzten Tag und der handelt nur sehr indirekt von der Zukunft, sondern vielmehr von der Gegenwart. Für einen Gärtner und Bauern, und letztlich sind wir alle Gärtner und Bauern und haben uns nur unterschiedlich weit davon entfernt, gibt es nichts Schöneres als das Pflanzen von Bäumen und das Säen von Pflanzen. Wenn die Welt morgen untergeht und es nichts mehr zu tun gibt, dann gibt es nicht viel anderes, um den letzten Tag in Würde zu genießen, als einen Baum zu pflanzen oder Blumenzwiebeln im Garten auszulegen. Pflanzt man einen Baum, um in fünf oder zehn Jahren davon essen zu können oder in 100 Jahren Feuerholz zu haben? Man pflanzt einen Baum, um einen Baum zu pflanzen. Und man freut sich jedes Mal, wenn man an dem Baum vorbeikommt, wenn man ihn anfangs wässert, vor Wildverbiss schützt und später verschneidet, dass der Baum wächst und existiert und Teil der Lebenswelt geworden ist. Es geht beim Baumpflanzen um die Gegenwart, um das Jetzt, die Erfüllung des Moments ohne jemals den Moment zu bedauern, sondern, wenn alles gut verläuft, sich auch in Zukunft am Wachsen der Pflanze zu erfreuen, und wenn nicht, dann wird einem niemand den Moment des Pflanzens nehmen können.

Nachdem Voltaire seinen Candide durch die Schrecken der Frühmoderne geschickt hatte und sich mit den Philosophen auseinandersetzte, die meinten, dass nun einmal alles so sei wie es sei und man es lieber gelassen ertragen solle, anstatt sich dagegen zu wehren und die Welt zu retten oder wenigstens denen das Handwerk zu legen, die der Welt nichts Gutes tun, lässt sich Candide mit seinen Freunden auf einem offenen Gehöft am Mittelmeer nieder. Cunégonde wurde Kuchenbäckerin, Paquette bestickte feine Stoffe, die Alte wusch die Wäsche und Giroflée wurde ein ehrlicher Tischler. Sie verwarfen die abstrakte Politik und Philosophie und genossen ein einfaches, tätiges Leben, in dem die manuelle Arbeit als Mittel gegen Langeweile, Boshaftigkeit und schädliche Bedürfnisse diente. Und so schloss Candide das Buch mit den Worten: Das ist alles sehr schön gesagt, aber wir müssen unseren Garten bestellen. Und so pflanzte er einen Apfelbaum und eröffnete in Ferney eine Manufaktur für mechanische Uhren, nicht um das Vergehen der Zeit zu messen, sondern um ein mechanisches Präzisionsinstrument zu bauen, welches funktioniert.

Da haben Sie recht, sagte Pangloss, denn der Mensch wurde in den Garten Eden gesetzt, um zu arbeiten, was beweist, dass der Mensch nicht zur Ruhe geschaffen wurde. Arbeiten, unablässig arbeiten, antwortete Martin, ist das einzige Mittel, um das Leben erträglich zu machen. (Candide, Kapitel 30)

 

Wer sich die Freude machen möchte, das gesamte Schlusskapitel von Voltaires Candide wieder einmal zu lesen, findet es hier.

  • Ueli Steiner
    18.05.2025 14:21

    Zukunft gestalten und Erfüllung finden

    In meinen noch jungen Berufsjahren durfte ich an einem Führungs-Seminar teilnehmen. Der Referent hat uns am ersten Vormittag zu vermitteln versucht, dass eine Identifikation mit seiner eigenen Arbeit und dem Arbeitgeber nicht sinnvoll sei. Vielmehr würde es in der Arbeitswelt darum gehen, die Balance zwischen Freizeit und Arbeit zu finden und nichts weiter. Nun, den Kaffee habe ich in der Pause noch genossen und dann habe ich mich für die weiteren Stunden entschuldigt. Schon damals habe ich nicht verstanden, warum sich Menschen in unserer Gesellschaft nicht in jedem Fall so gut als möglich mit ihrer Tätigkeit identifizieren, ihre Talente ausleben und dabei Erfüllung finden. Wenn wir das Pflanzen eines Baumes nicht nur als Mittel zum Zweck betrachten, sondern dabei Erfüllung finden, dann lernen wir dabei vielleicht eines unserer weiteren Talente kennen, nämlich die Zukunft aktiv und positiv zu gestalten, indem wir den Augenblick erleben und das tun, was wir im Moment für sinnvoll halten.

Bitte diskutieren Sie hier im Forum Ihre Gedanken und Kommentare zum Artikel.

Bitte beachten Sie das Ihre E-Mailadresse bei uns im System hinterlegt sein muss um kommentieren zu können.
Sie können sich hier für unseren Newsletter anmelden.