PIWIs werden salonfähig - Regent, Solaris, Lunaris & CO

von Reinhard Eichelbeck

Mehr als 70 Jahre lang wurden sie gelegentlich angebaut, aber meist verboten. Von ihren Befürwortern heimlich gehegt und gepflegt, von ihren Gegnern verachtet und verleumdet: Pilzresistente „Bastarde“ aus Kreuzungen von amerikanischen und europäischen Reben. Inzwischen haben sie sich emanzipiert, haben ihren guten Geschmack in zahlreichen Blindverkostungen bewiesen und ihre ökologischen und ökonomischen Vorteile vielfach demonstriert. Sie sind unverkennbar auf dem Vormarsch – und die Vorreiter tauchen schon in noblen Weinhandlungen auf.
PIWI Regent Traube
PIWI Regent Traube

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts brach eine dreifache Katastrophe über den europäischen Weinbau herein. Mit amerikanischen Rebstöcken, die man versuchsweise in Europa anbauen wollte, wurden zwei schädliche Pilzarten und ein Insekt eingeschleppt: der echte Mehltau (Oidium), der falsche Mehltau (Peronospora) und die Reblaus. Die Pilze befielen Blätter, Blüten und Früchte. Das Insekt zerfraß die Wurzeln der Rebstöcke, wodurch sie verkümmerten und abstarben. Während die amerikanischen Rebstöcke resistent gegen diese Schädlinge waren, da sie sich über etliche Millionen Jahre an sie gewöhnen konnten, waren die europäischen Reben den unbekannten Eindringlinge wehrlos ausgeliefert und gingen massenweise zu Grunde. Allein in Frankreich fielen rund 2,5 Millionen Hektar der Reblaus zum Opfer.

Die Reblaus bekam man dadurch in den Griff, dass man die amerikanischen, reblausresistenten Rebstöcke als Wurzelunterlage nahm und europäische Rebsorten aufpfropfte. Zur Abwehr der Pilze versprühte man Kupfer- und Schwefelpräparate. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Mittel vermehrt durch chemisch-synthetische Pestizide ersetzt, deren Verbrauch seither immer weiter angestiegen ist. So hat sich in den vergangenen zehn Jahren der Pestizidverbrauch im Weinbau etwa verdoppelt. Kein Wunder also, dass sich ihre Rückstände im konventionell angebauten Wein finden, wie das Pesticid-Action Network (PAN) 2008 in einer Untersuchung nachwies. Und zwar in Größenordnungen, die zum Teil das Zigtausendfache dessen betragen, was die Trinkwasserverordnung zulässt.

Französische Neuzüchtungen

Neben denjenigen Winzern, die auf Pflanzenschutz von außen setzten, begannen andere schon im 19. Jahrhundert, durch Kreuzung von amerikanischen und europäischen Reben neue Sorten zu züchten, die von sich aus gegen die Schadpilze resistent waren. Die Idee dabei war, dass die amerikanischen Reben, zum Beispiel Vitis riparia, Vitis rupestris, Vitis cinera oder Vitis aestivalis die Pilzresistenz, und die europäischen Vitis-Vinifera-Rebsorten den Geschmack beisteuern. Die amerikanischen Sorten wiesen nämlich eine Geschmacksnote auf, die man als „Fox-Ton“ bezeichnet hat, weil sie an ein nasses Fuchsfell erinnert, was unter Weinkenner in Europa übel angesehen war.

Die Züchtungsarbeit wurde anfangs vor allem in Frankreich geleistet. Zu gewisser Berühmtheit gelangten dabei: François Baco („Baco Noir“, „Baco Blanc“), Eugène Kuhlmann („Maréchal Foch“, „Léon Millot“), Georges Couderc („Couderc noir“), Albert Seibel („Colobel“, „Plantet“, „Rayon d’or“, „Chancellor“), Bertille Seyve und Victor Villard („Chambourcin“, „Seyval Blanc“, „Villard Noir“, Villard Blanc“).

Ithaka Kommentar

Bei aller Begeisterung für PIWIs, die der Natur und dem Winzer das Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln ersparen, darf nicht vergessen werden, dass die Vielfalt der traditionellen europäischen Rebsorten wie Pinot Noir, Riesling, Mourvedre, Nebbiolo, Sangiovese, Tempranillo ein kulturelles Erbe bedeuten, das nicht leichtsinnig aufs Spiel gesetzt werden darf. Zu jedem Terroir gehören auch bestimmte Rebsorten, die sich über viele Generationen hinweg perfekt an Boden, Klima und Kultur angepasst haben, woraus dem Wein neben allen geschmacklichen Qualitäten auch sein besonderer kultureller Wert erwächst.

Jeder Wein ist auch Träger einer kulturellen, regionalen Identität. So untrennbar wie das Burgund mit dem Pinot Noir, die Mosel mit dem Riesling, die Toskana mit dem Sangiovese und das Rioja mit dem Tempranillo verbunden sind, so verständlich ist die Sorge jener Winzer, dieses Erbe zu verteidigen.

Winzer sind ja nicht einfach Getränkebauern, die Konsumgüter produzieren, sondern Botschafter von Lebenskunst, die Typizität als Ausdruck von Charakter feiern.

Dass konventionelle Reben mittlerweile bis zu 10 Pestizidspritzungen pro Saison benötigen, liegt nicht nur an den vor 150 Jahren eingeschleppten Pilzen, sondern vor allem an der fortschreitenden Zerstörung des Ökosystems Weinberg. Wenn hier nicht Vernunft und Sensibilität einkehren, werden auch PIWIs nicht weiterhelfen. Keine 10 Jahre würden vergehen, und auch die PIWIs würden Pestizidspritzungen gegen neue, heute noch unbekannte Krankheitserreger benötigen.

Intelligenten Strategien der Biodiversifizierung, der Bodenaktivierung und der natürlichen Pflanzenstärkung sind nötig, um dem Terroir und dessen Rebsorten wieder zu höchstem Ausdruck, Charakter, Fülle und Natürlichkeit zu verhelfen. (hps)

Um 1930 hatte man in Frankreich fast 300.000 Hektar mit solchen weitestgehend pilzresistenten Rebsorten bepflanzt. Allerdings gab es dabei immer wieder Probleme mit geschmacklichen Fremdtönen, die beispielsweise in Richtung Holunder oder Erdbeeren gingen und keinen weintypischen Stil hatten. 1935 wurde daher der Anbau und Verkauf einiger Sorten, wie zum Beispiel „Noah“, „Othello“, „Isabelle“ oder „Clinton“ offiziell verboten und unter „Hybriden mit fürchterlichem Geschmack“ eingestuft. Andere Kreuzungen wurden weiter geduldet und waren erfolgreich, vom „Chancellor“ beispielsweise waren Ende der 1960er Jahre noch etwa 40.000 Hektar, vom „Villard Noir“ über 30.000 Hektar vorhanden. Erst als Anfang der 1970er Jahre die EU-Weinmarktordnung in Kraft trat, durch die es verboten wurde, Hybridreben für Qualitätsweine zu verwenden, hat man die Flächen gerodet und neu bepflanzt.

Arische Reben aus Berlin

In Deutschland war Dr. Johannes Zimmermann in den 1930er Jahren als Leiter der Rebzüchtung im staatlichen Weinbauinstitut in Freiburg ein eifriger Verfechter der Resistenzzüchtung und experimentierte mit den Schöpfungen seiner französischen Vorgänger. 1936 aber entschieden die Nazis, die Reichsrebenzüchtung von Berlin aus neu zu organisieren. Fortan wurden nur noch rein arische Reben zugelassen und alle mit amerikanischen oder französischen Pollen „verseuchten“ Hybriden verboten. Dr. Zimmermann musste die Vorgaben der Reichsrebenzüchtung umzusetzen, was ihn jedoch nicht hinderte, sich in seiner Freizeit weiter mit den „unarischen“ Hybridreben zu beschäftigen.

Nach dem Ende der Naziherrschaft konnte J. Zimmermann auf der Basis seiner Privatversuche aufbauen. So entstand beispielsweise der „Merzling“ aus einer Kreuzung von Seyve-Villard 5-276 als Muttersorte und FR 375-52 (Riesling x Ruländer) als Vatersorte. Unter Zimmermanns Nachfolger Dr. Norbert Becker entstanden der „Johanniter“ und weitere Abkömmlinge des „Merzling“, die neben den amerikanischen auch Gene der asiatischen Vitis-Amurensis-Reben enthalten, die sich durch eine hohe Frostfestigkeit auszeichnen. Freiburger Sorten mit Amurensis-Genen – der „Solaris“ zum Beispiel – werden heute in England, Holland, Dänemark und sogar in Norwegen angebaut.

Der tschechische Biologe Dr. Vilem Kraus hatte die asiatische Rebsorte Zarya Severa sowohl mit St. Laurent als auch Muscat Ottonel gekreuzt und einige Sämlinge an Helmut Becker von der Forschungsanstalt Geisenheim geschickt, einem 1872 gegründeten Institut für Obst- und Weinbau, aus dem unter anderem der „Müller-Thurgau“ alias „Rivaner“ stammt. Während Dr. Becker aus den krausschen Kreuzungen eine neue Rebsorte selektierte, die unter dem Namen „Rondo“ angebaut wird, stellte er die tschechischen Vitis-Amurensis-Abkömmlinge auch seinem Namensvetter in Freiburg zur Verfügung. Und der schuf durch Kreuzungen mit dem „Merzling“ die Rebsorten „Helios“, „Solaris“ und „Bronner“, ferner unter Einbeziehung von Seibel-Reben und Cabernet Sauvignon Sorten wie „Souvignier Gris“, „Cabernet Cantor“ und „Cabernet Carbon“.

Neue PIWI-Sorten

Piwitraube Solaris
PIWI-Traube Solaris

Neben Geisenheim und Freiburg bemühte sich auch das Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof intensiv um neue resistente Rebsorten. Ausgangsbasis waren vor allem die Neuzüchtungen „Domina“, „Bacchus“ und „Optima“, die sein Leiter Peter Morio in der 1930er Jahren aus Vitis-vinifera-Sorten geschaffen hatte, die dann mit französischen Hybridreben wie „Chambourcin“ oder „Villard Blanc“ gekreuzt wurden. Außer dem „Regent“, der in Deutschland mittlerweile schon in den Supermärkten zu finden ist, entstanden Sorten wie „Sirius“, „Reberger“, „Phoenix“, „Villaris“, „Felicia“ oder „Calandro“.

Weil sie zwar fast, aber nicht ganz hundertprozentig resistent gegen die Schadpilze sind, nennt man all diese Neuzüchtungen heute „pilzwiderstandsfähige Rebsorten“ oder „Piwis“. Geschmacklich sind sie den traditionellen Sorten inzwischen ebenbürtig, und ihr ökologischer wie auch ökonomischer Vorteil ist offensichtlich.

Statt 6 bis 10 Pflanzenschutzspritzungen pro Jahr brauchen sie gewöhnlich gar keine mehr, in schwierigen Jahren allenfalls noch eine. Das liegt daran, wie die Schweizer „Station de recherche Agroscope“ herausgefunden hat, dass sie sich, anders als die traditionellen Sorten, aktiv gegen die Schadpilze wehren. Einerseits, indem sie ihre Zellwände verstärken, damit die Pilze nicht eindringen können, andererseits indem sie große Mengen von Polyphenolen wie epsilon- und delta-viniferin produzieren, Resveratrol-Metaboliten, die für die Pilze toxisch sind. Für den Menschen hingegen sind diese Stoffe als Antioxidantien nützlich, und damit ergibt sich ein weiterer Vorteil dieser neuen Rebsorten.

Langer Weg zur Akzeptanz

In der Vergangenheit wurden die Piwis durch Vorurteile und gesetzliche Regelungen behindert, aber das hat sich inzwischen geändert. In den EU-Regeln ist festgeschrieben, dass Qualitätswein nur aus Sorten erzeugt werden darf, die zur Art Vitis vinifera gehören. Diesen Status wollte man den als „interspezifische Hybriden“ aus amerikanischen und europäischen Reben nicht zuerkennen. Dr. Volker Jörger, derzeit Leiter der Rebenzüchtung am Stattlichen Weinbauinstitut Freiburg, von Hause aus Biologe und Taxonom, argumentierte hingegen, dass die Bezeichnung „Hybride“ hier fehl am Platze sei, da die Ergebnisse dieser Kreuzungen ja fruchtbar sind und es sich gemäß biologischer Definition demnach nur um „Rassen“ der gleichen Art handeln könne. „Beim Menschen“, so meinte er, „würden die Folgeprodukte von Sex zwischen Amerikanern, Asiaten und Europäern nicht die Frage der Artzugehörigkeit aufwerfen, weil es sich ja um verschiedene Rassen handelt, die untereinander kreuzbar sind. Und wer ist jetzt eigentlich auf die Idee gekommen, das bei den Reben anders zu handhaben?“

Die deutschen Züchter, und in der Folge auch das Bundessortenamt, kamen also überein, sich an den Artmerkmalen zu orientieren. Vitis vinifera ist durch bestimmte morphologische Merkmale charakterisiert, wie Triebspitze, Blattstellung, Rankenfolge, Beborstung und so weiter. Wenn die neuen Sorten diese Artenmerkmale aufweisen, so entschied man, dann gehören sie auch zur Art Vitis vinifera. Das trifft für Sorten wie „Regent“, „Johanniter“, „Solaris“ und zahlreiche andere zu, weshalb sie fortan auch zur Erzeugung von Qualitätsweinen verwendet werden können. Die Internationale Organisation zum Schutz von Züchtungen (UPOV) hat diese Auffassung mittlerweile anerkannt, und auch in Frankreich hat man im „Arrêté du 18 avril 2008“ immerhin 20 der alten Neuzüchtungen wieder zugelassen, als „variétés de vigne dont les plants peuvent être commercialisés au sein de l'Union européenne, et qui sont éligibles au classement viti-vinicole en France“. Darunter Klassiker wie „Chambourcin“, „Léon Millot“, „Baco Blanc“, „Maréchal Foch“, „Rayon d’ or“, „Villard blanc“ und „Villard noir“.

Was den „Piwis“ nun noch fehlt zum Erfolg, ist die allgemeine Akzeptanz durch die Gemeinde der Weinliebhaber. Die allerdings kennen viele der neuen Sorten nicht einmal dem Namen nach, geschweige denn aus eigener Erfahrung. Aber das wird sich sicherlich bald ändern. Denn die ökologischen, ökonomischen und auch gesundheitlichen Vorteile der „Piwis“ sind nicht zu übersehen. Und zahlreiche neue, hoch interessante PIWI-Sorten werden jedes Jahr neu angepflanzt und werden uns mit spannenden Weinen überraschen.

Allerdings ist hier auch Vorsicht geboten, denn es besteht die Gefahr, dass die Pilzwiderstandsfähigkeit der „Piwis“ dazu verleitet, die Prinzipien der Biodiversität und der konsequent ökologischen Anbauprinzipien zu vernachlässigen und wie gehabt monokulturell und industriemäßig weiter zu wirtschaften. Wenn das allerdings eintritt, ist es nur eine Frage von Jahren, dass sich neue Schadpilze oder Schadinsekten epidemisch entwickeln, denen dann auch die „Piwis“ nicht mehr widerstehen können.

Weitere Informationen zu Piwi-Sorten, Winzern mit Piwi-Weinen finden Sie hier: Piwi-Zusatzinfos

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